Amtsausschüsse in Schleswig-Holstein: Zu viel Macht

Das schleswig-holsteinische Landesverfassungsgericht erklärt die Ämterregelung für ungültig und entfacht so eine neue Debatte über die Kommunalreform.

Als Versorgerverbünde bestimmen die Amtsausschüsse bei welchem Energieunternehmen Strom und Gas gekauft wird. Bild: dpa

Der Amtsausschuss, der im "Engländer Krug" auf der Insel Nordstrand zusammentrat, wähnte sich unschuldig. Doch gestern stellte das Landesverfassungsgericht in Schleswig fest, dass der Amtsausschuss, besetzt mit BürgermeisterInnen der Gemeinden von Arlewatt bis Wobbenbüll, der über den Bau neuer Windräder oder Radwegekonzepte entscheidet, jenseits der Verfassung ist. Das Konzept der Amtsausschüsse muss auf den Prüfstand, urteilten die Schleswiger Richter gestern. Damit folgten sie einem Antrag von Grünen und SSW.

Die hatten bemängelt, dass die Amtsausschüsse nur indirekt gewählt sind, obwohl sie längst nicht mehr reine Verwaltungsfragen beraten, sondern politische Entscheidungen treffen: Als Schulträger bestimmen die Amtsausschüsse, ob es Gemeinschaftsunterricht oder Nachmittagsangebote gibt, als Versorgerverbünde beschließen sie, bei welchem Energieunternehmen Strom und Gas gekauft wird. Zu viel Macht für ein Gremium, dessen VertreterInnen nur von den Gemeinderäten entsandt werden, fanden Grüne und SSW.

Das Gericht stimmte zu: "Die Regelung über die Zusammensetzung der Amtsausschüsse ist in Anbetracht der stetig wachsenden Aufgaben nicht mehr verfassungsgemäß." Bis Ende 2014 muss das Land nun eine Neuregelung treffen - entweder übernehmen die Ämter weniger Aufgaben, oder die Mitglieder müssen direkt gewählt werden.

Eine weitere Wahl wäre "keine optimale Lösung", sagt Anke Spoorendonk, Vorsitzende der SSW-Fraktion, die das Urteil als "Sieg für die bürgernahe Demokratie" bezeichnete und eine schnelle Reform forderte. Statt eine weitere Verwaltungsebene einzuführen, plädierte sie dafür, Gemeinden zusammenzulegen - eine alte Forderung des SSW.

Der Grünen-Fraktionschef Robert Habeck erklärte, bis zur Kommunalwahl 2013 solle Klarheit geschaffen sein: "Wir wollen starke Kommunen und eine starke kommunale Selbstverwaltung, wir wollen Bürgernähe und effiziente Strukturen."

87 Ämter gibt es zurzeit in Schleswig-Holstein, ihnen gehören 1.036 Gemeinden an.

Das kleinste Amt umfasst drei, das größte 34 Dörfer.

Die meisten Einwohner - 40.000 - leben im Amt Südtondern. Die offizielle Mindestgröße liegt bei 8.000 Personen.

Eine Ausnahme bildet das Amt Pellworm mit 1.300 Menschen - mehr leben nicht auf der Insel.

Um größere Einheiten zu schaffen gab es unter der schwarz-roten Regierung eine Ämterreform.

Wie genau das erreicht werden soll, muss in den nächsten Jahren geklärt werden. Tief greifende Kommunalreformen, bei denen Gemeinden oder Kreise zwangsweise zusammengelegt werden, stoßen in Schleswig-Holstein auf wenig Gegenliebe - die große Koalition hatte sich nur auf eine Ämterreform einigen können. So hielt sich die Begeisterung der jetzt Regierenden in Grenzen: Der CDU-Fraktionsvorsitzende Christian von Boetticher sprach von einem "Urteil mit Augenmaß". Das Gericht habe genug Zeit und Spielraum für eine Änderung eingeräumt. Günther Hildebrand (FDP) stellte fest, dass die "Ämterstruktur als solches nicht infrage gestellt" werde und kündigte "Beratungen in Ruhe" an.

Bis heute ist Schleswig-Holstein von kleinen Gemeinden geprägt. Die Dörfer, viele mit weniger als tausend EinwohnerInnen, können Schulen oder Klärwerke nicht allein organisieren - auch wirtschaftlich ist es sinnvoller, größere Einheiten zu bilden. So sind im Lauf der Zeit mehr Aufgaben an die Ämter abgewandert. Die kleinen Parteien, die selten Bürgermeisterposten besetzen, dürfen dort wenig mitreden. Es dominieren VertreterInnen der Freien Wählergemeinschaften, von CDU oder SPD.

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