BGH bestätigt Sicherungsverwahrung: Jugendtäter bleiben im Knast

Der Bundesgerichtshof hat die nachträgliche Sicherungsverwahrung von Jugendlichen gebilligt. Das seit 2008 geltende Gesetz verstößt nicht gegen die Menschenrechte.

Das Dilemma der Justiz: Sie muss den Schutz möglicher Opfer garantieren und Tätern die Chance bieten, wieder in Freiheit zu gelangen. Bild: dpa

Der Sexualstraftäter Daniel I. muss im Gefängnis bleiben. Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte gestern in einem Grundsatzurteil die neu eingeführte Möglichkeit, auch Täter in Sicherungsverwahrung zu nehmen, die einst nach Jugendrecht verurteilt wurden. Das Gesetz von 2008 verstoße nicht gegen das Grundgesetz, erklärten die BGH-Richter.

Der damals 19-jährige Schreiner Daniel I. hatte 1997 in einem Wald bei Kelheim (Niederbayern) die 31-jährige Joggerin Margit R. überfallen und erwürgt. Der Sterbenden riss er die Kleider vom Leib, um sich über ihr selbst zu befriedigen. Nach diesem monströsen Mord suchte die Polizei im damals größten Massengentest Bayerns nach dem Täter. Weil am Tatort ein VW-Golf gesehen wurde, wurden 1.200 Golf-Fahrer der Umgebung zu einer Speichelprobe aufgefordert, die 1998 auch zur Festnahme des "Waldhäusl-Mörders" führte.

Wegen seiner Unreife wurde der damals noch eher kindlich wirkende Schreinerlehrling nur nach Jugendrecht verurteilt und erhielt die Höchststrafe von zehn Jahren. Im Juli 2008 hatte er eigentlich die Strafe verbüßt und hätte entlassen werden müssen.

Doch fünf Tage vor seinem Entlassungstermin trat ein Gesetz in Kraft, das der Bundestag auch mit Blick auf Daniel I. beschlossen hatte: Erstmals können auch Jugendtäter nach der Haft in Sicherungsverwahrung kommen, wenn sie noch gefährlich sind. Voraussetzung ist allerdings, dass der Täter zu mindestens sieben Jahren Haft verurteilt wurde und Gutachter zum Zeitpunkt der möglichen Freilassung eine fortdauernde Gefährlichkeit feststellen. Es geht also nicht um Sicherungsverwahrung für Jugendliche, sondern um Häftlinge, die bei Strafverbüßung auf die 30 zugehen.

Daniel I. war nun der Erste, auf den das Gesetz 2008 angewandt wurde. Ein Gutachten stufte den damals 30-Jährigen als anhaltend gefährlich ein. Seine sadistischen Neigungen seien eher noch stärker geworden. Gegenüber Besuchern hatte er auch Mordfantasien geäußert. Wenn er schon heute entlassen würde, drohten "mit hoher Wahrscheinlichkeit" neue Taten "gegen Leib, Leben und sexuelle Selbstbestimmung" sagte damals der Regensburger Richter.

In der Revision beim BGH kritisierte I.s Verteidiger Gunter Widmaier, dass das neue Gesetz verfassungswidrig sei. Die Sicherungsverwahrung hänge wie ein Damoklesschwert über jugendlichen Straftätern. Dies verstoße gegen das Gebot der Berechenbarkeit staatlichen Handelns.

Der BGH hat nun jedoch die Revision abgelehnt und das Gesetz nicht dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt. Eine Abwägung der Interessen der Allgemeinheit mit dem Vertrauensschutz des Straftäters ergebe, dass das Gesetz verfassungskonform sei. Die Verhältnismäßigkeit sei vor allem deshalb gewahrt, weil bei Tätern, die einst nach Jugendrecht verurteilt wurden, jährlich geprüft werden muss, ob diese noch gefährlich sind oder entlassen werden können. Bei der normalen Sicherungsverwahrung muss dies nur alle zwei Jahre geprüft werden.

Der Vorsitzende BGH-Richter Armin Nack ließ auch das Argument nicht gelten, dass die Gesetzesänderung im Jahr 2008 gegen das Verbot von rückwirkenden Strafgesetzen verstoßen habe. Die Sicherungsverwahrung sei keine Strafe, sondern eine Maßnahme der Prävention, betonte Nack, deshalb gelte hier das Rückwirkungsverbot nicht.

Hier werden I.s Anwälte sicher nachhaken und den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nach Straßburg bringen. Das Gericht des Europarates hatte nämlich erst vor kurzem entschieden, dass das Rückwirkungsverbot auch auf Verschärfungen der Sicherungsverwahrung anwendbar ist. Dieses Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Die Bundesregierung will die Große Kammer des Gerichtshofs anrufen.

Das Gesetz, über das der BGH gestern befinden musste, hat bislang keine große praktische Bedeutung erlangt. Bisher ist Daniel I. wohl noch der Einzige, auf den das Gesetz von 2008 angewandt wird. Kritiker befürchten allerdings, dass Therapien in der Haft beeinträchtigt werden, wenn der Delinquent aus Angst vor der Sicherungsverwahrung nicht mehr offen über seine Motive und Fantasien spricht.

Bisher ist Daniel I. wohl noch der Einzige, auf den das Gesetz von 2008 angewandt wird

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