Künstlerpreis Osterholz-Scharmbeck: Der Kreis und sein Preis

Osterholz-Scharmbeck erweist sich als mutiger Kunstpreisstifter: Mit Paula Modersohn-Becker hat er eine prominente Preispatin gekapert, die freilich auch eine risikoträchtige Fallhöhe markiert. Im Hintergrund geht es auch um die Förderung der gebeutelten Künstlerkolonie Worpswede.

In der Ruhe liegt die (künstlerische) Kraft? Landschaft im Landkreis Osterholz-Scharmbeck, nahe der Künstlerkolonie Worpswede. Bild: dpa

Der gemeine Kunstpreis ist eine Gattung mit zahlreichen Unterarten. Da gibt es die hoch dotierte "Obendrauf-Auszeichnung", die sich an der Liste bereits vielfach preisgekrönter Promi-Künstler abarbeitet - also eine Endlosschleife im Kunstbetrieb darstellt. Zu beobachten ist andererseits der Typus des still sterbenden Preises: Irgendwann wird er einfach nicht mehr verliehen, was dann offenbar auch niemand recht bemerkt. Der Kölner Stephan Lochner-Preis zum Beispiel wurde zuletzt in D-Mark ausgezahlt.

Der Landkreis Osterholz-Scharmbeck, der sich über die leicht sumpfigen Flächen nördlich von Bremen erstreckt, wählt nun eine andere Variante. Er legt bei seinem bislang eher unprominenten Kunstpreis drei Schippen drauf: Ab sofort heißt er "Paula Modersohn-Becker Kunstpreis". Die Malerin, längst als "Pionierin der Moderne" gelabelt, lebte ein paar Jahre in Worpswede, mithin im Landkreis.

"Wir wollen den Preis auf eine andere Ebene heben", bestätigt Jörg Mielke, als Landrat zuständig für immerhin 30.538 Osterholz-Scharmbecker. Der Preis macht, konkret gesagt, einen Sprung über die Grenzen des Kreises: Bewerben darf sich nicht nur, wer einen Wohnsitz innerhalb der 146,9 Kreis-Quadratkilometer aufweisen kann, sondern jeder, der "einen darstellbaren persönlichen Bezug" hat zur Metropolregion Bremen-Oldenburg. Eine bewusst schwammige Formulierung, die sich auf Geburt und Ausbildung beziehen kann, auf die Großeltern oder sonst etwas: Der Pool potenzieller BewerberInnen muss groß sein, um am Ende keine vielleicht doch irgendwie peinlichen Werke prämieren zu müssen.

Die Fallhöhe, die der Name Paula Modersohn-Becker markiert, ist erheblich - spätestens seit die Malerin anlässlich ihres 100. Todestages vor drei Jahren von der Frankfurter Allgemeinen zur deutschen Picasso-Entsprechung ernannt wurde. Ist der Spagat zwischen Name und Einzugsgebiet also nicht ein wenig gewagt? "Wir haben in der Region Künstler, die diesen Namen rechtfertigen", versichert der Kulturreferent des Landkreises, Matthias Jäger. Und deutet vorsichtig an, dass man die territorialen Grenzen ja später eventuell noch weiten könne. In der Tat: Der Büchner-Preis, längst zur renommiertesten deutschen Literatur-Trophäe geworden, hat auch mal regional angefangen. Potentiell preiswürdig war, wer aus Georg Büchners Heimat Hessen stammte oder "mit Hessen geistig verbunden" war - was man getrost als Einschränkung bezeichnen kann.

Mit dem Sprung in die Metropolregion hat der Modersohn-Becker-Preis immerhin die Bremer Hochschule für Künste eingemeindet. "Jetzt müssen wir ihn wachsen lassen", formuliert Jäger ebenso liebevoll wie diplomatisch. Wie reagierte der Kreistag auf das Ansinnen, die Vergabegrenzen zu sprengen, das Geld und die anderen Fördermaßnahmen also auch Nicht-Osterholz-ScharmbeckerInnen zugänglich zu machen? "Diese Diskussion war weniger heftig, als ich erwartet hatte", sagt Landrat Mielke, bekannt als Meister des multi- und suprakommunalen Interessenausgleichs.

Bewerbungen um den erstmals zu vergebenen "Paula Modersohn-Becker Kunstpreis" sind bis zum 28. Mai möglich.

Thematisch und technisch gibt es keine Einschränkungen. Prämiert werden nicht Einzelwerke, sondern künstlerische "Gesamtpositionen". In den Ausschreibungsklauseln findet sich lediglich eine logistische Einschränkung: "Der Landkreis behält sich vor, die für die Ausstellung vorgesehenen Arbeiten einem angemessenen Transport entsprechend auszuwählen."

Altersbeschränkungen gelten nur in Bezug auf den Nachwuchspreis: Bis 28 Jahre ist die Teilnahme möglich.

Das eher kommunal orientierte Klientel des früheren Förderpreises soll im radikal erweiterten Teilnehmerfeld nicht untergehen: Dafür gibt es einen - allerdings undotierten - Sonderpreis, für den sich ausschließlich Osterholz-Scharmbecker bewerben dürfen. Als Preis winkt eine Ausstellung im Worpsweder Barkenhoff.

Weitere Informationen: www.pmb-kunstpreis.de

Auch in finanzieller Hinsicht kann man dem Landkreis eine geschickte Strategie bescheinigen: Er nimmt nicht etwa mehr Geld in die Hand, sondern genauso viel wie früher - und das dafür seltener. Durch die Streckung des Vergaberhythmus auf zwei Jahre stehen pro Verleihung immerhin 55.000 Euro zur Verfügung.

Davon wird allerdings nur ein kleiner Teil als Preisgeld ausgeschüttet: 7.500 Euro für den Haupt-, 1.000 für den Nachwuchspreis. Der weitaus größte Teil des Budgets wird für das verwendet, was einen solchen Preis für die mit ihm geförderten KünstlerInnen "nachhaltig" machen kann: Einzel- und Gruppenausstellungen, Kataloge, eine kuratorische Begleitung und - last not least - Ankäufe. Wobei man getrost einkalkulieren kann, dass Preisträger bei anschließenden Kaufpreisverhandlungen ihren Gönnern gegenüber tendenziell wohlgesonnen sein werden.

Auch früher schon war der Landkreis in Sachen Ankauf nicht faul - die Amtszimmer der Verwaltung sind dafür bekannt, fast flächendeckend mit allerlei Originalen bestückt zu sein. Unterm Strich ist zu konstatieren: Osterholz-Scharmbeck setzt nicht auf das insbesondere bei Bürgermeistern beliebte Modell "Feierstunde plus Scheckübergabe". Sondern auf strukturelle Förderung.

Sich selbst hat der Kreis bei diesem Ansatz mit bedacht, kulturelle Standortpolitik ist für ihn dringender denn je. Denn künstlerisch gesehen hat Osterholz-Scharmbeck einen bösen Aderlass erlitten: Vor einem Jahr verfügte der niedersächsische Kulturminister, das Stipendiatenprogramm aus Worpswede abzuziehen und nach Lüneburg zu verlagern. Bislang boten die "Künstlerhäuser Worpswede" zehn Ateliers und Wohnungen für auswärtige KünstlerInnen zum mehrmonatigen Arbeiten, seit 1971 waren rund 400 Künstler aus 35 Ländern zu Gast. In der Szene galt das Programm als "Mutter aller Wald-und-Wiesen-Stipendien". Ein Ausdruck, in dem alle atmosphärischen Vor- und Nachteile der ländlichen Lage mitschwingen.

Der Widerstand gegen die Verlagerung blieb ohne Erfolg - obwohl selbst Literaturnobelpreisträger Günter Grass dem Landkreis zu Hilfe kam und die ministerielle Entscheidung als "kulturelle Barbarei" geißelte. Die Nutzlosigkeit der Proteste lag nicht zuletzt daran, dass der Umzug einen besonderen Fürsprecher fand: den künstlerischen Leiter des Programms selbst.

Bernd Milla freute sich öffentlich auf den "Diskurs" mit dem "jungen Publikum" in Lüneburg, was wohl Rückschlüsse auf seine Worpsweder Erfahrungen zulässt. Anders ausgedrückt: Die Stipendiaten-Kunst bedeutete für Worpswede, das seit längerem touristische Musealisierungstendenzen aufweist, einen substantiellen Zuwachs an aktuellen künstlerischen Positionen.

Mit seinem neuen Preis versucht der Landkreis nun gegenzusteuern. Einen ersten Erfolg verzeichnet er mit der Besetzung der Jury: Mit dabei ist der Bremer Kunsthallen-Direktor Wulf Herzogenrath, der manch relevanten Künstler zur Teilnahme motivieren könnte. Auch Rainer Stamm vom - ebenfalls in Bremen ansässigen - Paula Modersohn-Becker Museum hat man an Bord geholt. Als "Chefverwalter" der Malerin gibt er dem Unternehmen beziehungsweise dem Landrat seinen Segen: "Ich gratuliere Ihnen dazu, den Namen rechtzeitig gekapert zu haben." Nun beginnt der künstlerische Beutezug.

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