Debatte Stereotype: Der Fall unserer Griechen

Die aktuelle Aggression vieler Deutscher gegen die Griechen steht in guter alter Nazitradition. Die wollten auch schon die Akropolis haben.

Es ist nur wenige Monate her, da standen die Griechen in der Skala der Wertschätzungen bei uns ziemlich weit oben, in etwa auf der Höhe der Italiener. Es gab wenig Stereotype, also fest gefügte Klischees, und die waren eher positiv. Die Älteren erinnerten sich noch an Alexis Sorbas, im Film dargestellt vom Urgriechen Anthony Quinn und dem von ihm nach Hollywood-Manier getanzten Sirtaki. Ansonsten Sonne, Meer, freundliche Leute und ein paar antike Ruinen als Bildungshintergrund. Dann plötzlich brach unsere heile Vorstellungswelt von den Griechen zusammen. Sie sackten in der Bewertungshierarchie nach ganz unten ab. Und da hocken sie nun, zusammen mit ein paar ost- und südosteuropäischen Leidensgenossen.

Wir hatten geglaubt, Urteile über andere Völker entstünden in einem langen Prozess und würden sich zäh im kollektiven Bewusstsein halten. Der jähe Fall der Griechen belehrt uns jetzt darüber, in welchem Umfang und mit welcher Rasanz gerade negative Stereotype gemacht werden. Was wir soeben erlebt haben, ist eine konzertierte, sehr erfolgreiche mediengesteuerte Aktion zwecks Schaffung und Befestigung von Vorurteilen. Erst ein kurzer intellektueller Vorlauf, angeführt von "Experten" wie dem Ökonomen Werner Sinn, dann das massive Bombardement durch Focus und Bild, schließlich die Umfragen, deren Ergebnisse uns bestätigen, dass wir mit unserer Verurteilung der Griechen auf der Mehrheitslinie liegen.

Der Motor der negativen Stereotypeproduktion wurde in Deutschland angelassen, als am Horizont ein Bedrohungsszenario erschien: Wir Deutschen ackern fleißig, müssen aber für die Schulden anderer aufkommen. Am Anfang stand also die Angst, sie konnte sich auf Tatsachen stützen. Griechenland drohte Zahlungsunfähigkeit, die Stabilität des Euro war in Gefahr - und die ökonomische Krise war im Wesentlichen hausgemacht. Diese missliche Lage teilte und teilt das Land mit mehreren anderen Mitgliedern der Euro-Zone. Aber Griechenland war leicht angreifbar. Seine katastrophische Lage war offenbar - gerade weil seine Regierung sich bemühte, die Karten auf den Tisch zu legen. Und die politische Stellung Griechenlands in der EU war isoliert. Die Angst wurde zur Patin des Vorurteils, und die Aggression richtete sich, wie so oft, gegen den Schwächsten.

Das Vorurteil benötigt die Gleichmachung des Feindes. Früher war es "der Russe", bei Bild sind es jetzt die "Pleite-Griechen". Soziale und kulturelle Unterschiede beim Vorurteilsobjekt werden getilgt. Es sind "die Griechen", die sich auf unsere Kosten "alles" leisten, die "unsere schönen Euros" verbrennen. Sie haben sich ein "Schlaraffenleben auf Pump" (W. Sinn und die Bild-Zeitung) eingerichtet. Sie hinterziehen allesamt Steuern, wobei nicht etwa die Bezieher hoher Einkommen, sondern die Taxifahrer als Beispiel herangezogen werden. Sie veruntreuen die Gelder, die ihnen von uns in den Rachen geworfen wurden. So heißt es in einem offenen Brief des Stern: "Wir Deutschen haben mit den Jahren jedem von Euch Griechen, vom Säugling bis zum Greis, über 9.000 Euro geschenkt." "Vom Säugling bis zum Greis" - so wird die Gesellschaft naturalisiert, sozial eingeebnet und kollektiv haftbar gemacht.

Die Griechen streiken, statt ordentlich zu arbeiten, sie "streiken ihr Land kaputt" (Bild). Warum diese Streiks so heftig sind, mit solcher Entschlossenheit durchgeführt werden, erfährt der Leser nicht. "Die Griechen" streiken eben, weil es in ihrer Natur liegt. So wie sie auch keine Lust haben, ein ordentliches Arbeitsleben zu absolvieren. Als Beweis hierfür behauptet Sinn im Focus, die Griechen könnten nach nur 15 Jahren Erwerbstätigkeit eine Rente von 110 Prozent ihres Einkommens beziehen. Eine unverschämte Lüge, wie Niels Kadritzke in der taz vom 1. 3. 2010 nachgewiesen hat. Die wütenden Angriffe auf die angebliche griechische Arbeitsunlust sind verräterisch. Sie verweisen auf projektives Verhalten. Denn man geißelt besonders scharf bei anderen, was man gerne selbst tun würde, sich aber nicht traut.

Solche Zustände bei "den Griechen" dürfen nicht über Nacht eingerissen sein. Das völkerpsychologische Vorurteil verlangt einen historischen Vorlauf, weshalb der entsprechende Artikel im Focus auch lautet: "2000 Jahre Niedergang". Der strahlenden griechischen Antike werden die heutigen verlotterten Zustände gegenübergestellt. Dabei hat der Focus keine Hemmungen, J.P. Fallmeraver, einen rassistischen Gelehrten des 19. Jahrhunderts, als Zeugen aufzurufen. Der schrieb: "Kein Tropfen des alten Heldenblutes fließt ungemischt in den Adern der jetzigen Neugriechen" und schlussfolgert, "eine schwärmerische Anteilnahme an ein so entartetes Geschlecht" sei Verschwendung. Dem kann sich Franz Josef Wagner in Bild nur anschließen. "Dieses Griechenland heute", schreibt er, "ist schrecklich" und fragt sich schwachsinnigerweise: "Sind die Helden alle tot?"

Aufgewärmt wird auch ein totgeglaubtes Stereotyp des 19. Jahrhunderts, die angeblich 1.000 Jahre währende Verfallsgeschichte des Byzantinischen Reiches und die Unvereinbarkeit des christlich-abendländischen Erbes mit dem finsteren, gegen das freie Individuum gerichteten Reich der Orthodoxie. Die Griechen verdienen ihre Antike gar nicht, was im Übrigen auch Hitlers Meinung war, der die Germanen als die eigentlichen Griechen proklamierte. Weshalb Bild auch vorschlug, die Akropolis Athens an die Deutschen zu verkaufen. Dieser Vorschlag zur Güte sollte auch einige der griechischen Inseln betreffen. Bild dichtete "Ihr kriegt Kohle, wir kriegen Korfu". Entsprechend scharf war die Reaktion der griechischen Öffentlichkeit. Schließlich hatte Korfu wie ganz Griechenland schon mal die Wohltaten der deutschen Besatzung erlebt.

Was die Stereotypeproduktion der letzten Wochen gegen die Griechen so widerlich macht und in ihren Folgen so gefährlich, ist die Arroganz, das neue Herrenmenschentum, mit der sie ins Werk gesetzt wird. Sie fügt sich in ein von der politischen Rechten angeheiztes Klima ein, wo von Solidarität wenig, aber von nationaler Selbstbehauptung umso mehr die Rede ist.

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