Stadtentwicklung: Stadt und Künstler rücken zusammen

Die Stadt Hamburg will Eigentümerin des seit Monaten von Künstlern bespielten Gängeviertels bleiben - ein Meilenstein auf dem Weg zu einem kulturell geprägten Stadtviertel.

So fing alles an: Ein Haus im Gängeviertel im August 2009, als noch von "Besetzung" die Rede war. Bild: dpa

Das Schriftstück, das die Künstler des Hamburger Gängeviertels am Freitag von ihren Gesprächen mit der Stadt mitbrachten, umfasst nur drei Seiten. "Eckpunkte und Überlegungen zur Nutzung" steht oben drüber. Genutzt werden soll das Gängeviertel durch die Künstler und der wesentliche "Eckpunkt" ist der mit der Nummer 1.16: "Die Grundstücke verbleiben in städtischem Eigentum und werden im Rahmen einer Treuhandlösung bereitgestellt." Statt einen privaten Investor ins Boot zu holen will die Stadt "das Gängeviertel zum Sanierungsgebiet machen", sagt der Sprecher der Behörde für Stadtentwicklung, Enno Isermann.

Für den langen Weg des Gängeviertels vom Investitionsobjekt zu einem offenen Quartier künstlerischer und soziokultureller Prägung ist das ein entscheidender Schritt. Rund 200 Künstler besetzten das Gängeviertel Ende August 2009, um das Quartier vor einer Luxussanierung durch den niederländischen Investor Hanzevast zu bewahren. Ihr Protest fand breite Unterstützung und führte dazu, dass die Stadt das Quartier Mitte Dezember von Hanzevast zurückkaufte.

Seitdem verhandeln die Künstler mit der Stadt über die zukünftige Nutzung. Eine zentrale Frage dabei: Behält die Stadt das Quartier oder macht sie sich auf die Suche nach einem neuen Investor? Einen solchen hätten die Künstler nicht akzeptiert - die Künstler wollen das Gängeviertel frei von Verwertungsdruck zu einem selbst verwalteten Quartier entwickeln, in dem Künstler, "normale" Bewohner und Gewerbetreibende nebeneinander wohnen und arbeiten.

Vier Nutzungstypologien sieht das Gängeviertel-Konzept für die Gesamtfläche von rund 8.700 Quadratmetern vor.

Wohnungen und Atelierwohnungen: Atelierwohnungen als Ort künstlerischer Arbeit mit zusätzlicher Wohnnutzung.

Ateliers und Werkstätten: Gemeinschaftswerkstätten für Künstler mit speziellen Gerätschaften.

Sozialkultur: Räume für kulturelle, soziale und politische Initiativen in Form von Begegnungsstätten, Arbeitsräumen oder Probebühnen.

Gewerbe: Die Erdgeschossflächen sollen durch Einzelhändler, Handwerker, Galeristen und Gastronomen genutzt werden.

Die Künstler des Gängeviertels, mittlerweile organisiert in einem Verein, werden ihr Nutzungskonzept am heutigen Samstag vorstellen. Auf 39 Seiten haben sie beschrieben, wie sie das Gängeviertel als Gegenentwurf zur glasverspiegelten Konsumwelt der Hamburger Innenstadt und als Teil der Recht-auf-Stadt-Bewegung positionieren wollen. 60 Prozent des Quartiers sollen Wohnungen oder Atelierwohnungen werden, 22 Prozent sollen Gewerbeflächen werden und jeweils neun Prozent sollen Ateliers und soziokulturelle Angebote beherbergen. Die Gängeviertel-Architekten schätzen die Sanierungskosten auf 15 Millionen Euro, wobei damit der bauliche Standard eines veredelten Rohbaus gemeint ist. Den Innenausbau übernehmen dann die Nutzer selbst.

Betont wird in dem Konzept immer wieder das Nebeneinander von Leben und Arbeit. Außerdem soll es um Vielfalt gehen: Sämtliche Kunstrichtungen und sämtliche Professionalisierungsgrade soll es geben, Milieus sollen sich vermischen und Altersstufen, für den soziokulturellen Bereich sollen Seminarräume zur Verfügung stehen, sozial engagierte Gruppen sollen Platz finden. Wirtschaftlich starke Nutzer wie die Gewerbetreibenden sollen die schwachen Nutzer querfinanzieren.

Insgesamt sieht das Konzept Raum für 125 Bewohner vor. Wer im Gängeviertel einen Raum bekommt - darüber soll eine Belegungskommission entscheiden. Träger soll eine Genossenschaft werden, die das Projekt selbst verwaltet. Letzteres ist einer der Punkte, an denen die Stadt und die Künstler noch ein Stück auseinander liegen: Die Stadt will die Selbstverwaltung nur für künstlerisch genutzte Gebäude, nicht aber für "normale" Wohnungen zulassen.

Ebenfalls noch nicht näher geklärt ist, wie die Sanierung finanziert werden soll. Die Stadt will "nach Möglichkeit Bundesmittel und Mittel der EU" akquirieren - deswegen hat sie das Gebiet zum Sanierungsgebiet erklärt. Außerdem soll es Fördermittel von der Wohnungsbaukreditanstalt geben und es soll aus städtischem Treuhandvermögen "ein angemessenes Eigenkapital" bereit gestellt werden. Wer die Sanierung übernimmt, ist noch nicht entschieden. Im Gespräch ist die Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft Steg.

Die Künstler erwarteten nicht, dass ihnen die Stadt alles zahlt, sagt Marion Walter vom Gängeviertel-Verein. Die Instandsetzung wolle man beispielsweise über die Mieten zurückzahlen. Mögliche Finanzierungsmodelle hängen für die Künstler wiederum an der Frage der Trägerschaft. Entscheidet im Gängeviertel eine Genossenschaft der Künstler oder hält die Stadt den Daumen drauf? Enno Isermann von der Stadtentwicklungsbehörde sagt, bei den Verhandlungen gebe es "einen hohen Grad an Übereinstimmung". Marion Walter vom Gängeviertel sagt: "Unser Ziel ist die Umsetzung unseres Konzepts." Fortsetzung folgt.

Vorstellung des Nutzungskonzeptes der Initiative "Komm in die Gänge": Samstag, 10. April, 14 Uhr in der Fabrik des Gängeviertels, Valentinskamp 34 a. Gleichzeitig beginnt ein Programm mit Lesungen, Musik und Ausstellungen

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