Alternative Pläne für Hamburgs Gängeviertel: Die Kunst und das Leben
Mit einer Art Tag der offenen Tür zeigen die Gängeviertel-Leute, was aus dem Quartier gemacht werden könnte. Das lockt ganz unterschiedliche Besucher an
Wer seine Zukunft gestalten möchte, muss eine Vorstellung davon entwickeln. Im Hof der "Fabrik" im Gängeviertel verteilen zwei junge Frauen Blumentöpfe, in die die Besucher ihre Wünsche pflanzen können. Ein Fähnchen im Töpfchen zeigt an, was hier außer Steinkraut noch gedeihen soll: "Geld", "Geborgenheit in einer Familie" …
Der "utopische Garten", in dem nicht nur aufs Individuum bezogene Wünsche gegossen werden, steht für das, was das Projekt Gängeviertel ausmacht: Der Wille, sich den Verhältnissen nicht einfach zu fügen, die eigenen Wünsche und Bedürfnisse in konkrete Alternativen zu gießen und Wirklichkeit werden zu lassen. Am Samstagnachmittag haben die Gängeviertel-KünstlerInnen ihr Konzept vorgestellt. Mit einem Programm in fast allen Räumen, zeigten die ehemaligen BesetzerInnen, was sich an diesem zentralen Ort für die Stadtgesellschaft tun lässt.
Die Hamburger - und nicht nur sie - nahmen es mit großem Interesse zur Kenntnis. Verschiedenste Menschen - vom Kind bis zum Greis, vom Punk bis zum Anzugträger mit Staubmantel schoben sich durch die Höfe und Zimmer. Auch Politiker in Freizeitkluft schauten sich das Treiben an - bis hin zu der froh gestimmten Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk (GAL).
Das Gängeviertel ist der Rest eines Arbeiter- und Fabrik-Quartiers zwischen Valentinskamp, Caffamacherreihe und Speckstraße.
Der Plan: Nach den Vorstellungen der Künstlerinnen sollen 60 Prozent der Flächen für Wohnungen oder Atelierwohnungen genutzt werden. Auf neun Prozent planen sie reine Ateliers und Werkstätten. 22 Prozent sind für Gewerbe vorgesehen und weitere neun Prozent für Soziokultur.
Die Kosten für die Sanierung schätzen die Künstler auf 15 Millionen Euro. Sie sollen mit Hilfe staatlicher Förderung gedeckt werden.
Am Tag zuvor hatte sie den Kulturschaffenden ein Eckpunktepapier vorgelegt, das umreißt, auf welcher Basis das Gängeviertel genutzt werden soll: Die Stadt will Eigentümerin bleiben und die Immobilien in ein Treuhandvermögen überführen, das die Künstler nutzen sollen. An einem Modell in der "Fabrik" wird deren Konzept sichtbar: Bunte Etagen weisen auf die verschiedenen Nutzungen hin. An der Wand flimmern Computeranimationen dazu.
Leben und - insbesondere künstlerisches - Arbeiten sollen in den Höfen miteinander verschränkt werden. Schon jetzt gibt es eine Kneipe, eine Fahrradwerkstatt, einen Umsonstladen, Galerien und Räume zum Musik machen, Graffiti und Klebebilder. In Schiers Passage, einem langen Hof mit Durchgang zum Valentinskamp, rockt eine Band. Siebdrucke werden angefertigt und Waffeln gebacken.
Über einem Eingang steht "Jette" - der Name einer Food-Coop. Davor hat Günter Garbers seinen üppigen Gemüsestand aufgebaut. Er drückt den vorbei strömenden Besuchern Infozettel über die Lebensmittelkooperative in die Hand. Wer mitmacht, kauft mit den anderen zusammen im Umland biologische Nahrungsmittel.
"Jette ist die beste Alternative, weil selbstorganisiert und nicht gewinnorientiert", steht auf dem Zettel, und es könnte als Motto des Gängeviertel-Projekts gelesen werden. Gegenüber steht auf einer doppelt mannshohen Tafel ein Manifest der Verweigerung: Solange Design und Architektur nur der Kapitalverwertung dienten, müsse man auf Design und Architektur verzichten, steht dort sinngemäß. In den nächsten Tagen will die Freie Klasse "Interflugs" der Berliner Universität der Künste das benachbarte Unileverhochhaus aus Palettenresten nachbauen. In dem skulpturalen Abgesang sollen sich "kollektive und individuelle Gentrifizierungs-Alpträume verwirklichen".
Leser*innenkommentare
arty
Gast
ja liebe regina, es soll in der tat menschen geben, welche diese gesamtscheiße welche denen von klein auf vorgelebt wird, nicht einfach so hinnehmen wollen. es sind mutige menschen, welche versuchen strukturen zu schaffen und anderen, welche sich (noch) nicht trauen, diesen alternativen lebensstil vorleben.
doch was dem staat alles auf der tasche liegt - ist hier wirklich die falsche diskussionsplattform wie ich finde...ich will hier nicht anfangen aufzuzählen für was der staat unser geld verprasselt (steuereinnahmen) - wenn sozialalternative wohnprojekte da gefördert werden ist es schon ein anderes kaliber wenn irgendwelche durchgangsbahnhöfe finanziert werden sollen wie zB das Stuttgart21 Projekt. Das ist wirklich ein unding!
nicoletta
Gast
14.04.2010 16:42 Uhr:
von Biodeutscher Sozialromantiker:
vielleicht solltest Du mal in einer Solischicht das Klo Deiner Kinder putzen?
Das Gängeviertel ist keine primitive Variante einer Hippikultur der 70ger Jahre, sondern jetzt real entstanden. Der Bedarf von Leben+Arbeiten in Eigenregie
lebt immer noch. Stell Dir vor, es gibt Menschen: viele sehr jung ( im Gänge 1/4, Karo 1/4, Schanzen 1/4 St. Pauli, Dänemarkt usw...ÜBERALL) die keine Angst haben, Ihre Ideen und Lebenswünsche durchsetzen wollen....Und wir leben bewußt hier ( im 1/4....Takt) und nicht in Deiner kleinen Vorgarten Idylle. Aber wir akzeptieren solche Leute, wie Dich! Freiheit für alle
Regina
Gast
Ich komme aus Berlin und sowas wie das Gängeviertel gibt es hier an jeder Straßenecke. Kein Berliner nimmt das noch ernst. Diese Strukturen finden die meisten über dreißig einfach nur lästig und teuer. Meistens sehen die Häuser nach Jahren noch genauso aus wie am Anfang. Ungepflegt und verwahrlost.
Normale Berliner würden sich dort nie aufhalten. Die wenigsten Menschen in solchen Kommunen leben von eigens verdienten Geld sondern auf kosten des Staates. Diesen Luxus leistet sich eben Berlin.
Wie das in Hamburg aussieht, weiß ich nicht.
Ich hoffe, das die Stadt die Nutzerstruktur der Menschen dort etwas mischt und auch mehr "Normale" am Gängeviertel teilnehmen läßt, sonst wird das auch einen Luxusstätte der Isolierung.
Martin
Gast
Ich habe ueberhaupt nichts gegen linke Kulturzentren und so weiter.
Aber mal ehrlich. Umsonstladen, Siebdruck, Fahrradwerkstatt? Klischees, wo man liest...
Und die "Anzugtraeger" gucken sich das grinsend an. Man sollte solches "Kommunenleben" nicht mehr als linke Marotte bezeichnen, sondern als esoterische Sekten (so sind leider viele drauf).
Biodeutscher Sozialromantiker
Gast
Ich wohne in Hamburg, in der Schule meiner Kinder werden die Toiletten nicht regelmässig geputzt, weil das Geld für Putzfrauen fehlt, der Putz bröckelt und ständig fehlt der Unterricht aus, weil es zu wenig Lehrer gibt.
Und jetzt muss ich lesen, dass 15 Millionen Euro für so etwas ausgegeben wird!?
Leute packt Euch mal am Kopf, seit ihr denn alle blind? Wir haben kein Geld für Hippi-Luxus-Wohnungen!
arty
Gast
aber natürlich! wozu braucht man diese hippiekünstler, diese selbstverwalter und all das anarchogesocks - sollen die doch alle aufs land verziehen - gängeviertel plattmachen und noch mehr schicke carlofts hinbauen!
zum glück sind nicht alle menschen so gleichgeschaltet
Ein Hippie
Gast
@Regina
Welche Ideen haben Sie denn so? Und welche zukunftsträchtige Konzepte fallen Ihnen ein? Die Menschen in Hamburg sind so, wie anderswo auch: auf der Suche nach Sinn, Glück und einem richtigen Leben im falschen. Ihren Kommentar kann ich nicht ganz einordnen, ehrlich.
Ein Hippie.
peter
Gast
Es hat rein gar nichts mit Hippi zu tun! Ich weiß ja nicht woher du kommst, aber allen anschein nciht aus Hamburg oder einem anderen Ort der vor immer mehr Umgetsaltung im sozialen Bereich steht! Es wird nach Alternativen gesucht, das ist eine und wie ich finde die Einzige. Oder hast du ncoh eine andere Idee?? Oder doch vllt. luxus Villen hochziehen und somit allen Menschen das freie Leben nehmen??
Die Bezeichnung, ob Hipp oder Alternativ, das ist doch völlig egal! Im Vordergrund steht die Freiheit überall wohnen zu können wo Mensch möchte! Und das nimmt die Privatisierung einzelner Konzerne den Menschen.
ist hase
Gast
Liebe Regina,
Sie haben es erkannt. Staatliche Bevormundung, Nationalistischer Brei und Kapitalismus sorgen gemeinsam dafür, dass die Menschen "sehr einsam, gelangweilt und unglücklich" sind. Das Gängeviertel versucht eine Alternative dazu anzubieten - eine Alternative zu Staat, Nation, Kapital, Scheiße. Scheinbar findet es großen Anklang, bloß nicht bei Ihnen im Reihenhausvorgarten hinterm Jägerzaun.
Dennoch brauchen Sie keine Angst haben.
Kommen Sie doch einfach mal vorbei.
Regina
Gast
Das Gängeviertel ist eine primitive Variante der 70iger Jahre Hippikultur. Man sollte meinen, dass hat sich lange überholt. Auch das Konzept ist eigentlich von vorgestern. Armes Hamburg, dass sowas jetzt als Hip gilt. Die Menschen in Hamburg müssen sehr einsam, gelangweilt und unglücklich sein, dass sie sich von solchen Ideen angezogen fühlen.