Guido Westerwelle in der "Bravo": Das Interview als trojanisches Pferd

Er fand Chemie scheiße, Suzi Quatro toll und hat keine Ahnung, wie viele Stempel in seinem Reisepass sind. Die "Bravo" interviewt Außenminister Westerwelle. Doch, Vorsicht!

"Man muss sich aufraffen und sich sagen: So, jetzt streng ich mich an!" Bild: Ausriss "Bravo" Nr. 16, S. 73

Fast verschämt steht oben auf der Doppelseite der aktuellen Bravo sein Name: Guido Westerwelle. Darunter prangt in fetten Lettern "Außenminister ... Johnny Depp". Nur wer erneut hinsieht, erkennt das klein dazwischen gequetschte "steht total auf".

Hat der Imageberater des Außenministers nach dem Besuch des Abba-Musicals zu viel Blue Curacao getrunken und im Vollrausch einen Interview-Termin vereinbart? Kehrt "Gaga-Guido", wie wir ihn vom Spaßwahlkampf 2002 oder dem Besuch im Big-Brother-Container im Jahr 2000 kennen, zurück? Ist Schluss mit Michael Mronz?

Weder noch. Das zum Zeitpunkt desolater Umfragewerte lancierte und, nebenbei bemerkt, zum Erblinden bunt bebilderte Interview ist ein genialer Schachzug. Westerwelle setzt bei der Rekrutierung liberaler JungbürgerInnen ganz auf die Zielgruppe "Unter 18". Und das ziemlich geschickt: Das Interview ist ein trojanisches Pferd – bei dem die gefährlichen griechischen Krieger erst ganz am Schluss herauskommen.

Es geht handzahm los, mit Geplänkel über Bravo-Starschnitte (Westerwelle schwärmte für Suzi Quatro "in ihrer Lederkluft"), Aufklärung (In der Schule "wurde darüber offen und robust gesprochen"), Hassfächer ("Physik. Chemie"). Das Politische an Westerwelle ist in der niedlichen Frage "Zu Ihrem Job als Politiker..." verpackt. Man erfährt denn auch brisante Dinge: Der Außenminister weiß nicht, wie viele Stempel er in seinem Reisepass hat und er bekommt tolle Gastgeschenke, wie "den langen Silberdolch aus dem Jemen".

Bravo (im Sinne von: Applaus!) gebührt Westerwelle trotzdem. Dafür, dass er im Zentralorgan der sexuell erwachenden Jugend über sein Schwulsein spricht. Wenn sich der Außenmister darüber in Kinderzimmern äußert, als sei es die normalste Sache der Welt, ist das gut. Die normalste Sache der Welt sollte Homosexualität ja auch sein. Vielleicht ist sie es 2010 auch ein bisschen mehr als 1973 und in Berlin ein bisschen mehr als im Schwarzwald. Aber so ein Coming-Out nimmt auch heute noch oft genug dramatische Ausmaße an.

Bei so viel Gaga-tum und Homo-Mutmacherei muss man also aufpassen, um den Angriff der Trojaner am Ende nicht zu übersehen. Er kommt wie ein hyper-liberaler Kinderriegel mit sozialdarwinistischer Füllung daher: "Wer sich nicht anstrengt, macht nicht denselben Weg wie jemand, der sich anstrengt". "Wir können Schwächeren nur verlässlich helfen, wenn unser Land stark bleibt."

Immerhin verhindert dieser entlarvende Schlusssatz womöglich, dass in ihrem Mut gestärkte, homosexuelle Jugendliche aus einer irrationalen Dankbarkeit heraus FDP wählen. Ein doppeltes "Bravo, Guido."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.