Luftverschmutzung: Frische Luft wird vertagt
Trotz Umwelt- und Tempo-30-Zonen kriegen niedersächsische Kommunen die Reduzierung der Abgase nicht rechtzeitig in den Griff. Umweltminister Sander will die Frist der Europäischen Union verlängern.
Acht niedersächsischen Kommunen drohen Bußgeldzahlungen an die EU, weil sie die Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) überschreiten. Seit diesem Jahr darf der Jahresmittelwert des gesundheitsschädlichen NO2 nicht höher sein als 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. "Die Kommunen können diese Werte aber nicht einhalten", sagt die Sprecherin des niedersächsischen Umweltministeriums, Jutta Kremer-Heye. Dazu zählen die Landeshauptstadt Hannover, Burgdorf, Braunschweig, Hameln, Hildesheim, Osnabrück, Göttingen und der Kreis Osterode.
Das Umweltministerium und die betroffenen Kommunen diskutieren heute darüber, wie die Zahlungen abgewendet werden könnten. "Wir wollen eine Verlängerung der Frist bis 2015 beantragen", sagte Kremer-Heye. Der EU-Luftqualitätsrichtlinie zufolge ist dies durchaus möglich. Allerdings muss der Antragsteller dann nachweisen, dass die Überschreitung der NO2-Grenzwerte besondere standortspezifische oder klimatische Ursachen hat. Außerdem müssen die Kommunen einen Luftreinhalteplan erstellen. Dieser soll aufzeigen, wie die Grenzwerte vor Ablauf der neuen Frist erreicht werden sollen.
Schon lange kämpfen die acht Städte gegen die Luftverschmutzung in ihren Innenstädten. Alle sind Ballungsräume und deshalb oft mit Autos und Lkws verstopft. Im Kreis Osterode gilt seit einigen Wochen daher auf großen Teilen der Bundesstraße 243 nur noch Tempo 30. In Osnabrück wurde im Januar die Umweltzone in der City eingeführt. Diese Maßnahme war auch notwendig. Schließlich brachte es die Stadt im Jahr 2009 auf einen NO2-Wert von 52 Mikrogramm. Das konnte nur noch Hannover mit 53 Mikrogramm toppen.
Stickstoffdioxid (NO2) ist, anders als der partikelförmige Feinstaub, ein Gas. Es kommt eher punktuell vor. Hauptemissionsquelle ist der Straßenverkehr.
Den Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft überschritten haben 2009 mehr als die Hälfte der bundesweit 141 Messstationen.
Aufgrund seiner sauren Reaktion mit Wasser kann NO2 die Schleimhäute der Atemwege angreifen und dann tief in die Lunge eindringen.
Über 17.000 Menschen sind allein in Osnabrück von der NO2-Belastung (2009: 52 Mikrogramm) betroffen. Gemessen wurde dies vor allem in dicht bebauten Gebieten mit Schulen und Kitas.
Doch ausgerechnet in der Landeshauptstadt kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu Streitigkeiten um die geeignete Maßnahme zur Abgasreduzierung. Dort dürfen seit März nur noch Autos mit grüner Plakette in die Innenstadt. Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) wollte diese Einschränkungen kippen, musste jedoch vor Gericht eine Niederlage einstecken. Sein Vorschlag zur Verringerung der Luftverschmutzung lautete: "Grüne Welle".
"Diese Maßnahme erzeugt zwar einen fließenden Verkehr", sagt Hans-Joachim Hummel von der Abteilung Luftreinhaltung des Umweltbundesamts, "bringt aber eigentlich nicht so viel". Wirkungsvoller seien da Durchfahrverbote für Lkws, Umweltzonen und Autos, die den aktuellen Abgasnormen gerecht werden. "Moderne Technik und Einfahrverbote sind die wirklichen Mittel der Wahl", sagt Hummel.
Dass niedersächsische Kommunen die Abgas-Belastung nicht in den Griff bekommen, ist den Oppositionsparteien im Landtag zufolge vor allem die Schuld des Umweltministers. So warf der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Stefan Wenzel, Sander vor, die "Probleme auszusitzen". Die Landesregierung dürfe sich einer Lösung der Probleme nicht länger verweigern, sondern müsse Maßnahmen durchsetzen, die Verkehr, Industrie und Landwirtschaft zur Luftreinhaltung verpflichten, sagte Wenzel am Mittwoch.
Noch schärfer ist der Ton bei der Linkspartei. "Sander ist nicht nur inkompetent, er blockiert auch alle Vorschläge, die Experten von Umweltorganisationen machen", sagte der umweltpolitische Sprecher Kurt Herzog. Weil Sander kein Umweltminister, sondern ein Ideologe sei, unternehme er nichts gegen die Luftverschmutzung. "Leider geht dies auf Kosten der Gesundheit der Bevölkerung", sagte Herzog. Stickstoffdioxid ist ein starkes Reizgas, das tief in die Lunge eindringen kann und dort die Lungenfunktion beeinträchtigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen