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Archiv-Artikel

Kosmischer Steinschauer im Ural

RUSSLAND Hunderte Menschen bei Meteoriteneinschlag verletzt. Druckwelle verursacht zahlreiche Schäden

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Die Einwohner der russischen Millionenstadt Tscheljabinsk trauten ihren Augen nicht. Gegen 9.20 Ortszeit (4.20 MEZ) hellte grelles blitzendes Licht den noch dämmrigen Morgen auf. Über den Himmel zog sich ein weißer Schweif wie ein Kondensstreifen eines Flugzeugs. Es folgten mehrere gewaltige Detonationen, die eine laut Anwesenden „extrem heiße“ Druckwelle freisetzten. Viele Bewohner der 1.500 Kilometer östlich von Moskau gelegenen Stadt vermuteten zunächst, ein Flugzeug sei abgestürzt. Eine Stunde nach dem Ereignis meldeten die Behörden den Einschlag eines Meteoriten und gaben Entwarnung.

Videoaufnahmen dokumentieren, wie der Meteorit in einem Feuerball über der Industriestadt explodiert und Bruchstücke in alle Himmelsrichtungen fliegen. „Plötzlich war es taghell, ich fühlte mich wie von Scheinwerfern geblendet“, berichtete ein Augenzeuge. Auch die Häuser sollen durch die Druckwelle erheblich ins Schwanken geraten sein.

Die Druckwelle richtete erhebliche Verwüstungen an. Überall barsten Fensterscheiben, Mauern stürzten um und Decken brachen ein. Aber Todesopfer sind nicht zu beklagen. Nach Angaben des Innenministeriums kamen etwa 1.000 Personen zu Schaden. 112 Menschen mussten in Krankenhäusern behandelt werden. Die meisten erlitten Schnittwunden, zwei sollen sich in kritischem Zustand befinden. Ob nur einzelne Teilchen herumflogen oder gar ein Meteoritenregen niederging, darüber stritten sich bereits mittags die Astrophysiker.

Auch in fünf Nachbarregionen und im angrenzenden Kasachstan wurde das Schauspiel beobachtet. „Der nicht gerade kleine Meteorit war am klaren Morgenhimmel gut zu beobachten“, meinte Sergei Smirnow vom Sankt Petersburger Observatorium. Es sei ein ziemlich großes Objekt mit einer Masse von mehreren zehntausend Tonnen gewesen, sagte der Physiker. Die Einschätzungen über die Größe des Objektes schwanken jedoch. Der Moskauer Professor Andrei Lukaschew spricht davon, dass der Bolid im Vergleich zu anderen Asteroiden einen eher geringeren Umfang hatte. Dennoch sei es zu einer „relativ ernst zu nehmenden Thermo-Explosion“ gekommen. Träfe jedoch ein Himmelskörper größerer Masse mit kosmischer Geschwindigkeit auf die Erde, würde das schwerwiegendere Folgen haben als eine atomare Explosion, so Lukaschew. Vermutlich trat der Meteorit mit einer Geschwindigkeit von 20 Kilometern in der Sekunde in die Atmosphäre in 37 Kilometer Höhe ein.

Das Katastrophenministerium mobilisierte 20.000 Mitarbeiter und setzte Flugzeuge ein. 80 Kilometer westlich von Tscheljabinsk soll der Zivilschutz bereits fündig geworden sein. Demnach stürzten einige Meteoritenteile in den Tschebarkul-See, andere Bruchstücke sollen in der Umgebung einen größeren Krater gerissen haben.

Der Atomkonzern Rosatom teilte mit, dass Atomanlagen nicht betroffen seien. Auch die Gebietsverwaltung trat Gerüchten entgegen, dass erhöhte Radioaktivität gemessen worden sei. Die Kinder in Tscheljabinsk haben erst einmal schulfrei, und der Gebietsgouverneur schickt alle verfügbaren Kräfte an die Fensterfront: Bei Temperaturen von minus 18 Grad sei es jetzt am wichtigsten, die kaputten Scheiben auszuwechseln. Im Internet hat sich Präsident Wladimir Putin in einer Fotomontage unterdessen auch schon wieder die Natur untertan gemacht: Mit freier Brust reitet er kühn auf dem Schweif des Meteoriten.