: Senat bleibt staubtrocken
Feinstaub? Stimmt, da war doch was. Nach den Debatten im Frühjahr redet niemand mehr über die schädlichen Partikel. Dabei hat Berlin die Grenzwerte längst geknackt. Den Senat juckt das kaum
von ULRICH SCHULTE
Die Anwohner der Hauptverkehrsstraßen müssen in diesem Jahr mehr Feinstaub einatmen, als die EU erlaubt. Die Messstationen an der Neuköllner Silbersteinstraße haben bisher an 67 Tagen zu hohe Werte der gesundheitsschädlichen Partikel registriert. Als „offenen Rechtsbruch des Landes“ bezeichnen dies Umweltschützer wie Fabian Löwenberg von der Deutschen Umwelthilfe, aber auch Fachleute vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (s. Interview).
Der Grund: Nach einer seit Januar geltenden EU-Richtlinie dürfen nur an 35 Tagen im Jahr mehr als 50 Mikrogramm der Partikel pro Kubikmeter Luft gemessen werden. Obwohl das Jahr noch nicht zu Ende ist, liegt die Belastung an vielen Straßen höher. Für die Frankfurter Allee (Friedrichshain) melden die Luftgüteexperten an 64 Tagen Überschreitungen, für die Schildhornstraße (Steglitz) 53. Auch in der Karl-Marx-Straße in Neukölln war die Luft laut der Internetseite des Umweltbundesamtes an 48 Tagen zu staubig. In einer Großstadt ist eine hohe Feinstaubbelastung durchaus üblich: An der Frankfurter Allee kam es 2003 zu 96 Überschreitungen, im Jahr 2002 waren es 82.
In Berlin wird auch dieses Jahr bis Silvester also mehr als das Doppelte an Feinstaub gemessen werden, als erlaubt ist. Dies sei „bedauerlich“, sagt Manuela Damianakis, die Sprecherin der Umweltverwaltung. Aber: Im Sommer angestellte Überlegungen, die so genannte Umweltzone vorzuziehen, seien definitiv vom Tisch. Der Luftreinhalteplan des Landes sieht vor, die Innenstadt ab 2008 für Dieselstinker zu sperren. Einen früheren Starttermin, wie ihn Umweltverbände fordern, hält Damianakis für unrealistisch – auch wegen der neuen politischen Konstellation im Bund: Denn das Land macht die Innenstadtsperrung von einer bundesweiten Kennzeichnungspflicht für abgasarme Autos und von einem Umweltzonen-Verkehrsschild abhängig, und die große Koalition kämpft gerade mit drängenderen Problemen. „Aber allein der technische Vorlauf der Kennzeichnungspflicht braucht Zeit – z. B. das Drucken und Verteilen der Plaketten“, sagt Damianakis.
Für Fabian Löwenberg, Jurist bei der Deutschen Umwelthilfe, sind das Ausflüchte. „Das Land könnte auch ohne Bundesvorschrift handeln.“ Schließlich werde auch das Verbot, betrunken Auto zu fahren, durch Verkehrskontrollen überwacht – und nicht auf Verkehrsschildern in jeder Stadt angekündigt.
Die Organisation unterstützt daher drei Anwohner, die das Land wegen der zu hohen Feinstaubbelastung verklagt haben. Sie fordern Maßnahmen wie Straßensperrungen und die sofortige Einführung der Umweltzone. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Mai abgelehnt. Jetzt muss das Oberverwaltungsgericht entscheiden. Löwenberg hofft auf ein Urteil „vor Weihnachten“.
Im Herbst kommen Überschreitungen der Tageshöchstwerte oft vor. „Besonders am Morgen bilden sich kleine Inversionen. Das heißt, kalte Luft schiebt sich wie ein Deckel über wärmere Luftschichten“, erklärt Manfred Breitenkamp, Abteilungsleiter Umweltpolitik in der Senatsverwaltung. Die Folge: Durch den Berufsverkehr verursachte Abgase und Aufwirbelungen bleiben in der bodennahen Luftschicht.