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Archiv-Artikel

Nicht um jeden Preis

Wer ausgezeichnet wird, muss mit allem rechnen. Eine Warnung an junge Literaten

Die erblindete Witwe eines Spanienkämpfers rief mir zu: „Weiter so, junger Mann!“

Neulich musste ich eine Anthologie lesen, deren blutjunge Beiträger jeder mindestens schon ein Dutzend literarischer Preise beziehungsweise Stipendien vorweisen konnten. Das erstaunte mich nicht unerheblich. Zudem bestätigten mir Freunde, dass es mehr Preise als Autoren gebe und man sich so kommod durchs Literatenleben (be)fördern lassen könne.

In meinem mit Demütigungen nicht unterversorgten Autorendasein habe ich immerhin auch mal einen Preis entgegengenommen. Eine bekannte Dreibuchstabenpartei, in deren Abkürzung die Aufenthaltswahrscheinlichkeit von D und P und S regelmäßig um die Hundertprozentmarke schaukelt, wollte mir ihren mit einem vierstelligen Betrag gültiger Währung ausgeschmückten „Polistradamus. Preis zur Ermutigung von Künstlern“ verleihen. Über den Namen des Preises musste ich zunächst lachen, über den beigefügten Scheck jedoch wollte ich mich aufrichtig freuen. Denn kurz zuvor hatte mein Finanzamt seine unbegreiflichen Forderungen auf eine Höhe beziffert, die exakt der Preissumme entsprach. Also erkundigte ich mich bei einer für den Preis zuständigen, überaus freundlichen Dame: Nach vorliegendem Plan solle ein bekannter Schriftsteller die Laudatio halten, ich bräuchte nur rumzusitzen, im Anschluss an den Festakt solle Kabarett stattfinden, fertig. Und wir sollten in Kontakt bleiben, wofür sie den Begriff „telefonibbeln“ prägte.

Ich sagte zu, der Termin rückte bedrohlich näher, doch bald ergaben sich kleine Änderungen. Der bekannte Schriftsteller habe es verbummelt, ob ich nicht selber was vorlesen könne. Kurz schilderte ich die Beschaffenheit meiner Texte und verkündete, die Mehrzahl der Festgäste würde spätestens nach dem ersten Absatz Reißaus nehmen, ohne auch nur Spuren einer gewissen Aufnahmefähigkeit für den bevorstehenden Kabarettabend wiederzuerlangen. Die Dame am Telefon schlug meine Bedenken in den Wind, andererseits aber bekannte Autoren vor, die meine Texte vortragen wollten, was wiederum mein sittliches Empfinden in blankes Entsetzen umschlagen ließ.

Trotzdem reiste ich in die Hauptstadt meines Bundeslandes, nicht ohne mir vorher mit einer ansehnlichen Menge Schwarzbier Mut anzutrinken. 150 Gäste der Sechzigplusgeneration erwarteten mich bereits geduldig. Nun: In Sachen Beifall war ich bisher anderes gewöhnt. Mit einer gekonnt gesetzten Verzögerung wurde geklatscht. Höflich. Aber diese Kunstpause vorher – selten waren Martyrien geballter. Die betreuende Dame erwies sich als blonde Schönheit, angetan mit einem intergalaktischen Einteiler, und suchte blitzenden Auges das Gespräch in der Pause, doch meine beiläufige Erwähnung des Freundes, der freitags auf dieser Seite die Kolumne schreibt, führte augenblicklich zum Abbruch der bilateralen Beziehungen.

Wer meine Neigungen kennt, wird klar einschätzen können, dass mir das Stillsitzen bei Kabarett, eingekeilt zwischen zwei resoluten Herren, die mir aufmunternd in die Seite stoßen, wenig bekommt. Noch weniger Entspannung und innere Sammlung fand ich beim anschließenden Signieren: Das blonde Gift hatte je 150 Exemplare meiner beiden damals lieferbaren Bücher geordert, die ich nun auf Zuruf mit umfangreichen persönlichen Widmungen versehen durfte, indessen das Schwarzbier seinen Tribut forderte und ich lichterloh zu glühen begann, was die erblindete Witwe eines Spanienkämpfers ja nicht sehen konnte, als sie mir „Weiter so, junger Mann!“ zurief. Wenigstens der Kabarettist verstand meine farblichen Signale und versorgte mich mit lebensrettenden Schwarzbieren. „So so, Schriftsteller sind Sie also“, raunten einige noch ungläubig, dann war es überstanden. Dachte ich.

Denn der als gemütlicher Teil geplante Abschluss war getragen von den Reiseschilderungen des Vorjahrespreisträgers, der sich vom Preis und seinen laut quiekenden Zuhörerinnen ermutigt fühlte, stundenlang über schwarze Bohnen herzuziehen, welche die Neger in Kuba ständig äßen. Ich hätte gegen diesen rassistischen Scheiß einschreiten sollen, aber Feigheit, Fatalismus und der Alkoholpegel waren eindeutig in der Überzahl. Erst als sich mit der Erschöpfung ein weiterer Feind einstellte, rief ich verzweifelt nach dem blonden Organisationskomitee und verlangte nach einem Bett.

Ein albanischer Atombunker erschien mir modern gegen das leer gefegte Gästehaus besagter Partei, doch die Aussicht auf ein feines Bett ließ meine Vorbehalte schnell verstummen. Der eigens für mich bestallte Nachtwächter notierte umständlich meinen Weckwunsch, während ich mich wenigstens zur Einsicht ermutigt fühlte, dass junge Nachwuchsautoren ein doch nicht so kommodes Leben führten, sollten ihre Preisverleihungskalamitäten auch nur Bruchteile der meinigen ausmachen. MICHAEL RUDOLF