Im Angesicht des Todes: „68er sterben selbstbewusster“

Der Arzt Matthias Gockel lindert im Klinikalltag die Schmerzen der Schwerkranken. Weinen hält er dabei für wichtig. Die klassische Heilungsmedizin sieht er skeptisch.

Das Zuschauen beim Sterben ist oftmals kaum auszuhalten. Bild: dpa

BERLIN taz | Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs zur Sterbehilfe betrachtet der Palliativmediziner Matthias Gockel die klassische Medizin, die vor allem auf Heilung ausgerichtet sei, in der sonntaz kritisch. „Wir können Menschen heute auf eine Art zu Tode schinden, die hatten wir vor zwanzig Jahren einfach noch nicht“, sagt der Arzt, der die Palliativstation des Helios-Klinikums in Berlin-Buch leitet im sonntaz-Gespräch. „Da stellt sich der mündige Patient natürlich die Frage: Bis wohin tue ich mir so etwas an?“

Der Bundesgerichtshof hatte am Freitag beschlossen, dass es nicht strafbar sein darf, die Behandlung aktiv zu unterlassen, wenn Kranke sterben wollen.

Matthias Gockel lindert vor allem die Schmerzen der Schwerkranken. In Deutschland sieht er bei den Palliativstationen große Fortschritte. In den vergangenen Jahren ist ihre Zahl erheblich gewachsen – von gerade einmal drei im Jahr 1990 auf 180 im Jahr 2009. Die Statistik spiegelt wieder, wie sich der Umgang mit dem Tod geändert hat.

Besonders die 68er fördern diese Veränderung, beobachtet Gockel. Sie hätten „ein anderes Selbstbewusstsein, einen anderen Umgang mit Autoritäten und viel bessere Möglichkeiten, sich zu informieren. Das macht sie selbstbewusster gegenüber Ärzten. Sie sagen dann: Aber die Chemotherapie macht doch nicht so viel Sinn, wenn ich dadurch nur vier Wochen länger lebe.“

Gockel selbst ist 1970 geboren. Die Arbeit, sagt er im sonntaz-Gespräch, mache ihn zufrieden, auch wenn er ständig an Grenzen stößt: „Du musst spüren, was das Sterben für die Menschen bedeutet, dass sie leiden. Auf der anderen Seite bist du vielleicht selbst nur einen Blutwert, eine Röntgenaufnahme von derselben Diagnose entfernt. Du könntest genau dieser Patient sein.“

Der Mediziner lässt es sich manchmal anmerken, wenn ihn der Stationsalltag belastet. In guten Kliniken, findet er, müsse geweint werden. „Dass ich weine, zeigt zunächst einmal nur, dass mich etwas berührt.“ Er bleibe professionell handlungsfähig: „Es ist ein Unterschied, ob ein Patient mir erzählt, warum er traurig ist, und mir läuft eine Träne herunter. Oder ob ich auf seinem Bett zusammenbreche und rufe: Oh mein Gott, wir sind verloren! Da würde ich als Patient mich auch fragen, ob ich hier in guten Händen bin. Wenn dein behandelnder Arzt feuchte Augen kriegt, merkst du, dass du als Mensch mit deinen Sorgen und Ängsten ernst genommen wirst.“

Im sonntaz-Gespräch erzählt Gockel außerdem, warum jüngere Patienten gelassener gehen, wie ihn das Schicksal einer Artistin berührt hat und wo seine Kollegen noch dazulernen müssen.

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