Größter Prozess gegen die ETA

In Spanien beginnt ein Verfahren gegen 56 Personen, denen vorgeworfen wird, dem wirtschaftlichen und politischen Apparat der Separatistenorganisation anzugehören. Ihnen drohen hohe Strafen

AUS MADRID REINER WANDLER

Vor dem höchsten spanischen Strafgerichtshof, der Audiencia Nacional, hat gestern das größte Verfahren begonnen, das die spanische Justiz je gesehen hat. 56 Angeklagte werden beschuldigt, dem politischen und wirtschaftlichen Apparat der baskischen Separatistenorganisation ETA anzugehören. Die Staatsanwaltschaft fordert für sie zwischen 10 und 51 Jahre Haft. Unter den Beschuldigten befinden sich zahlreiche Persönlichkeiten aus dem ETA-Umfeld. Neben mehreren Anwälten sitzen auch Journalisten, wie der Chef der Rechercheabteilung der verbotenen Tageszeitung Egin, Pepe Rei, auf der Anklagebank.

„Um ihre Ziele zu verwirklichen, bedient sich die ETA bewaffneter Gruppen, die die militärische Front bilden. Um sie herum gruppieren sich – in einer Beziehung der Unterordnung – verschiedene kriminelle Strukturen“, heißt es in der Anklageschrift. Die Ermittlungen führte Richter Baltazar Garzón, der durch seine Anklage gegen den ehemaligen chilenischen Diktator Augusto Pinochet zu internationaler Bekanntheit gelangte.

Der Ermittlungsrichter hatte die erste Polizeioperation im Mai 1998 angeordnet. Die Beamten zerschlugen ein Netz von Unternehmen, mit deren Hilfe die ETA die nach Lateinamerika geflüchteten Mitglieder finanziert haben soll. Im Sommer des gleichen Jahres ließ Garzón die ETA-nahe Tageszeitung Egin schließen. Auch sie sei ein direkter Bestandteil der bewaffneten Organisation gewesen. Ende des Jahres dann traf es die Koordination Patriotischer Sozialisten (KAS). Dieser Organismus, der das gesamte linksnationalistische Spektrum koordinierte, soll – so die Anklage – direkt von der ETA geführt worden sein. Die Nachfolgeorganisation Ekin wurde von Garzón ebenfalls zerschlagen. Als Letztes traf es den internationalen Propagandaapparat der ETA und die Stiftung Joxemi Zumalabe, die Aktionen des zivilen Ungehorsams im Baskenland koordinierte. Diese Stiftung gab unter anderem selbst fabrizierte baskische Personalausweise aus, mit denen sich die Angeklagten auch vor Gericht präsentierten.

Das Verfahren findet in einem Gerichtssaal im Madrider Stadtwald Casa del Campo statt, der vor einem Jahr eigens für das Verfahren gegen die spanischen Strukturen von al-Qaida in einem Gebäude des Messekomplexes eingerichtet worden war. Die vorsitzende Richterin Angela Murillo, die bereits der Richtertroika im Al-Qaida-Verfahren angehörte, rechnet mit einer Verhandlungsdauer von sechs bis acht Monaten. Die Ermittlungsakten umfassen 200.000 Seiten in 600 Bänden. 300 Zeugen und 60 Sachverständige sollen geladen werden.

Das Verfahren ist nicht das erste seiner Art. Bereits im Jahre 2002 wurde der politische Arm der Separatistenorganisation ETA, die Partei Batasuna, verboten. Die Richter sahen es damals als erwiesen an, dass die politische Organisation, die bei Wahlen im Baskenland bis zu 15 Prozent auf sich vereinigen konnte, gegen das spanische Parteiengesetz verstößt. Batasuna sei außerdem ein integraler Bestandteil der ETA gewesen.

Im vergangenen Juni standen 24 Mitglieder der linksnationalistischen Jugendorganisationen Jarrai sowie deren Nachfolgeorganisationen Haika und Segi vor der Audiencia Nacional. Sie sollen die „kale borroka“ – Straßenkampf mit Brandsätzen gegen öffentliche Einrichtungen, nicht- nationalistische Parteien sowie den Besitz ihrer Vertreter – organisiert haben. Die Anklage beschuldigte die Jugendorganisation des Terrorismus im Auftrage der ETA. Das Gericht wies dies zurück. Die Jugendlichen seien nicht bewaffnet gewesen. Deshalb handle es sich bei der „kale borroka“ nicht um Terrorismus. Ein Berufungsverfahren steht noch aus. In beiden Verfahren war ebenfalls Garzón der Ermittlungsrichter gewesen.