Bewährungsstrafe für Polizisten: Nicht Jagdeifer, sondern Stress

Das Landgericht Neuruppin verurteilt den Berliner Polizisten, der einen Kleinkriminellen am Silvesterabend 2008 erschossen hat, zu einer Bewährungsstrafe.

In diesem Auto wurde am Silvesterabend 2008 ein gesuchter Straftäter erschossen. Bild: dpa

Bei der Urteilsverkündung kam es zu Tumulten. Das Landgericht Neuruppin verurteilte am Samstag einen Berliner Polizisten, der einen Autoknacker erschossen hatte, zu zwei Jahren Haft auf Bewährung wegen Totschlags in minderschwerem Fall. "Selbst für einen Einbruch kriegt man mehr", riefen die Berliner Freunde des Getöteten. "Mörder, wir sehen uns noch", drohte einer in Richtung des 36-jährigen Polizeikommissars Reinhard R.. Der zeigte keine Regung. Seine Verteidiger hatten für ihn Notwehr geltend gemacht und Freispruch gefordert.

Seit Anfang Mai hatte das Landgericht Neuruppin versucht, die Umstände aufzuklären, unter denen der 26-jährige Berliner Kleinkriminelle Dennis J. Silvesterabend 2008 in dem brandenburgischen Örtchen Schönfließ erschossen worden war. J. war wegen drei Haftbefehlen zur Fahndung ausgeschrieben. Der Zivilfahnder Reinhard R. war schön länger hinter ihm her. Nachdem er den Tipp bekommen hatte, hatte sich R. mit zwei Kollegen nach Schönfließ aufgemacht, wo der Gesuchte in einem gestohlenen Jaguar auf eine Freundin wartete. Das Tatgeschehen, bei dem R. sein ganzes Magazin - acht Schuss - verballerte, hatte sich in dreißig Sekunden abgespielt. J. starb durch einen Steckschuss in die Lunge, den R. aus maximal 1,50 Meter Entfernung durch die Fensterscheibe der Fahrertür abgegeben hatte.

"Der Jagdeifer ist mit ihm durchgegangen", hatte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer konstatiert und für den Angeklagten drei Jahre und sechs Monate Haft gefordert.

Das Gericht sah es ein wenig anders. Antriebsfeder für R. sei nicht Jagdfieber gewesen, der Beamte habe "stressbedingt die falsche Entscheidung getroffen". Aber auch für das Gericht steht fest: "Der Todesschuss war nicht durch Notwehr gerechtfertigt". J. habe zwar versucht, mit dem Jaguar zu fliehen, für die Beamten habe aber keine Gefahr bestanden, überfahren zu werden. Trotzdem habe R. versucht den Jaguar zu stoppen, indem er auf J.s Oberkörper gezielt habe. Wer das tue, nehme den Tod des Gegenübers in Kauf. Der Gesuchte sei kein Schwerverbrecher gewesen, dessen Flucht um jeden Preis hätte verhindert werden müssen.

Das Urteil wegen Totschlags in minderschwerem Fall begründete der vorsitzende Richter damit, dass R. aus Stress, Schrecken und Furcht gehandelt habe. Dennis J. habe "die Fehlentscheidung in nicht unerheblichem Maß mit zu verantworten", weil er sich widerstandlos hätte festnehmen lassen müssen. Auf Totschlag im minderschweren Fall stehen ein bis zehn Jahre Haft. Dass er am unteren Ende blieb, begründeten die Richter damit, dass R. ein tadelloser Polizist gewesen sei. Wenn er nun seinen Beruf verlöre, sei seine gesamte Lebensperspektive zerstört.

Die zwei an dem Einsatz beteiligten Zivilfahnder wurden wegen versuchter Strafvereitelung zu Geldstrafen von 10.800 und 8.400 Euro verurteilt. Sie hätten versucht, R. zu decken.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.