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Augenzeugen-Bericht aus Duisburg"Die Jugendlichen wurden missbraucht"

Kommentar von Horst Zimmer

Die Jugendlichen wurden als Statisten eines exotischen Spektakels missbraucht, ihre Bedürfnisse zählten kaum, meint der Erziehungswissenschaftler Horst Zimmer.

"Ihre Bedürfnisse zählten hier kaum": Trauernde auf der Loveparade. Bild: dpa

D UISBURG taz Es war ein befremdliches Bild, das Duisburg am Samstagvormittag bot: ein riesiges Polizeiaufgebot; dutzende Beamte vor Spielplätzen oder Grünanlagen, denen man, wie mir eine Polizistin bestätigte, aufgetragen hatte, die Besucher abzuwehren. Schon der Anblick der Jugendlichen, die auf der Straße saßen, weil man ihnen keine Parkbank gönnte, erweckte bei mir den Eindruck: Hier geht es nicht darum, die Jugendlichen zu schützen, es geht darum, Duisburg vor den Jugendlichen zu schützen.

Diese schlechte Behandlung der Besucher setzte sich auf dem Gelände fort: der Schotter, den man ausgelegt hatte und der alles in eine schwarze Staubwolke hüllte; die Zäune, mit denen das Gelände doppelt und dreifach abgesperrt war - eine gigantische Geringschätzung mit diesem beängstigenden Tunnel als traurigem Höhepunkt.

Spätestens als ich mittags dort durchging, war mir klar: Die Belange und Bedürfnisse der Besucher zählen hier kaum, man will lediglich im Rahmen der "Kulturhauptstadt Ruhrgebiet" ein Event inszenieren und bestimmte Bilder produzieren.

Horst Zimmer

60, Erziehungswissenschaftler, arbeitet für ein Jugendamt im Ruhrgebiet. Weil er beruflich viel mit Jugendlichen zu tun hat wie aus Interesse an der Musik, besuchte er Samstag die Loveparade.

Nicht immer missachtet die Erwachsenengesellschaft die Interessen von Jugendlichen, natürlich gibt es positive Beispiele. In Duisburg aber waren die Vorbereitungen miserabel und die Verhältnisse unzumutbar. Man hat die Jugendlichen als Statisten missbraucht. Und nun versucht die Erwachsenengesellschaft sich selbst zu rechtfertigen und den jungen Ravern die Schuld an den schrecklichen Ereignissen anzulasten, indem man so tut, als handle es sich bei ihnen um eine Horde aggressiver Betrunkener.

Gut, natürlich habe ich dort Betrunkene gesehen, aber keineswegs mehr als auf dem Kölner Karneval. 99,5 Prozent der Gäste waren gesittete, freundliche junge Leute. Sie wollten Musik hören, Spaß haben und einen guten Tag erleben. Mit ihnen oder der Ravekultur hatte die Panik nichts zu tun. Unter diesen Bedingungen hätte diese auch auf einem Kirchentag ausbrechen können. Nun wünsche ich mir, dass man dies einsieht. Dass man die Verantwortlichen zur Rechenschaft zieht. Und man jugendliche Subkulturen nicht länger ausgrenzt oder als exotisches Spektakel missbraucht.

Protokolliert von Denzi Yücel

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15 Kommentare

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  • M
    Minstrel

    Alle Jahre wieder pilgern Millionen Muslime nach Mekka. Und alle Jahre wieder kommt es dort zu Massenpaniken, bei denen Hunderte Menschen den Tod finden - 1990 sogar mehr als 1400.

    In Mekka hat man die Botschaft verstanden und mit viel Aufwand die Pilgerstätte sicherer gemacht - auch wenn es keine hundertprozentige Sicherheit geben kann.

     

    In Berlin ging so lange alles ziemlich gut mit der Loveparade, weil man aus allen Himmelsrichtungen zur Party dazustoßen konnte - und auch in alle Richtungen wieder davonziehen, wenn einem danach war.

  • H
    Helena

    Ein sehr angenehmer Kommentar. Vielen Dank!

    Dennoch: Sie stellen sich auf die Seite der Jugendlichen, obwohl allgemein bekannt ist, dass nicht nur Jugendliche an der Loveparade teilnehmen.

    Diverse Medien nennen das Alter der Opfer: 20-40 Jahre.

    Es kann hierbei also nicht unbedingt nur um ein Event der Jugendlichen handeln!

    Insofern finde ich ihre Aussage "Man wollte Duisburg vor den Jugendlichen schützen" befremdlich, auch wenn ich weiß, was Sie damit meinen.

    Man wollte Duisburg vor den Ravern, vor den Partygängern schützen.

     

    Oder: man wollte Duisburg, vor den eigenen Versäumnissen schützen, würde ich an dieser Stelle als wesentlich treffender empfinden.

  • DN
    Dr. No

    Ich überlege mir gerade: Die gleichen Typen, die Duisburg verbockt haben, entscheiden gerade über die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken nach dem Motto: Wird schon gutgehen......

  • HV
    Herr von Neubabelsberg

    Ja, genau, lieber Herr Zimmer, sehr zutreffend beschrieben in ihrem artikel! Eine konkrete schilderung, wie sie sich selten in deutschen tageszeitungen findet. Und wer es bis dato immer noch nicht wahrhaben wollte: Der Sensenmann, der tod war und ist ein meister aus Deutschland, nach wie vor kandidat Nr. 1 für's organisationskomitee in sachen konzentrationslager. SINCE 1933 SOMETHING IS ROTTEN IN THE STATE OF GERMANY!

     

    Die geltungs- und profitsüchtigen, die heute als bürgermeister, verwaltungsingenieure, eventmanager und security-guards karriere machen, haben von der generation der nazigroßväter gelernt, wie man menschenmassen auf engstem raum zusammenpfercht, um aus ihnen noch den letzten Euro und Cent hinauszupressen, so wie in Duisburg am güterbahnhof geschehen. Mineralwasser und pinkeln natürlich erst erlaubt nach einlass und kostenpflichtig. Wer vorher umkippt und stirbt wie die fliegen, hat eben pech gehabt, denken sich die kollegen sozialdarwinist & hooligan von stadtverwaltung und enventagentur...

     

    Bleibt zu hoffen, dass sich die angehörigen der ausländischen opfer nicht mit betroffenheitserklärungen abspeisen lassen werden und und die riege der schreibtischtäter und "macher" zur rechenschaft ziehen.

  • KD
    keinen drunter machen

    kommt mir fast so vor als ob die Argumentation im Artikel darauf hinausläuft das man gesittet sein sollte weil man sonst selbst schuld ist wenn man tot ist.

  • IG
    In Gedanken an die Opfer

    Ich selbst war dort und muss sagen dass die Zustände teilweise unzumutbar waren. Das Geländer war viel zu klein und es war viel zu viel abgesperrt, der Schotter auf dem sich alle die Füße verletzten war für eine Party an der alle tanzen wollen sowieso das dümmste was ich je gesehen habe, nur einen Eingang der gleichzeitig der Ausgang ist war die Katastrophe schlecht hin. Ob zu wenig Fachpersonal vor Ort war lässt sich schlecht abschätzen.

    Wo ich auf jeden Fall zustimmen muss, ist bei der Drogen Geschichte… Bei so einem Festival bekommt man an jeder Ecke Drogen… Vor allem chemische Drogen wie Extasy und Pepp sind sehr beliebt damit sie solange es geht durch tanzen können… Wenn solche Leute wo es an einer Loveparade Unmengen gibt natürlich Ewigkeiten stehen müssen weil die Organisation nicht stimmt dann geht das Gedrängel erst recht los das ist klar… Ich finde es schade dass alles so gelaufen ist und kann es nicht verstehen wie man den Ravern so etwas zugemutet hat. Den Drogen hin oder her es waren doch alle friedlich und freundlich auch miteinander und eigentlich wollten nur alle zusammen die Musik genießen und tanzen… Da sieht man das die ganzen Leute die das Organisiert haben überhaupt keine Ahnung haben um was es geht denn wäre es richtig geplant gewesen, dann hätten sie nicht mal die Hälfte an Polizei usw. gebraucht. Denn die Raver sind untereinander sehr friedlich und hilfsbereit deshalb bin ich am liebsten unter Ihnen, ich selbst bin 19 und habe mehr verstanden von der Geschichte der Raver wie die meisten Erwachsenen und die ganzen Organisatoren… Schade darum…. Mein größtes Beileid an die Opfer und deren Angehörige….

  • K
    Klaus

    Als Rettungssanitäter auf den Loveparades in Berlin waren es nicht die "nur" alkoholisierten Raver, sondern die Mischintoxikationen (Alkohol und Drogen) die Rettungseinsätze meistes nötig machten. Insgesammt auf die Masse der Teilnehmer gesehen war aber der Grad der Intoxikationen prozentual nicht höher wie in Diskotheken oder auf anderen ähnlichen Veranstaltungen.

  • M
    mfstaiger

    Viele, die jetzt über diese Katastrophe schreiben, zeigen mir, dass sie genauso wenig Ahnung von der Technobewegung haben wie die Veranstalter selbst.

    Deshalb war das Event auch die Heimat von Berlin, weil nur Berlin so eine Parade ausführen konnte.

    Warum?

    Die Loveparade ist wohl mit der größte, öffentliche Drogenkonsum weltweit (Alkohol meine ich damit nicht!). Ziehen wir die Mitläufer ab, so bleiben sicherlich noch mindestens 200-300tausend Menschen voll drauf auf chemischen Drogen.

    Denn Raver tanzen an so einem Wochenende einen Marathon, und sowas ist, es sei denn man ist ein absoluter Topsportler, ohne aufpuschende Amphetamine nicht durchzuhalten.

    Jetzt stellen sie sich folgende Situation vor. Sie haben mal eben 1-2 Exstacy Pillen geschmissen, vielleicht noch ein bißchen Pep dazu und Wodka-RedBull. Das löst in einem Raver die Dancemachine aus. Danach ist er wie ein Kasper, der nicht mehr ruhig stehen kann, denn sein Körper braucht die Beats und dringend Bewegung. Und jetzt muss sich dieser Raver aber auf einmal ganz gesittet durch schmale Wege quälen, mit denen er nicht gerechnet hat. Was passiert...er drängelt, weil es schnell zur Party kommen will, denn sein ganzer Körper schreit danach.Und somit musste es dazu kommen, was leider an diesem Wochenende traurige Wahrheit wurde. Die Ruhrpottstädte dachten sich...och die Loveparade, die holen wir zu uns und bekommen das noch besser hin als Berlin. Aber die Ruhrpottstädte sind gar nicht dafür ausgelegt, dass so viele Menschen sich auf einmal in ihren Städten aufhalten (Und kommt bitte nicht mit dem Karneval-Argument...das ist ne ganz andere Art von Veranstaltung!). Deswegen hat das weise Bochum ja auch letztes Jahr abgesagt. Diesmal aber haben Menschen über das Schicksal dieser Raver entschieden, die gar keine Ahnung von der Materie Techno-Bewegung hatten, sonst wären sie nie so naiv gewesen.

    Das tut mir sehr leid für diese Raver, denn ich bin selbst einer gewesen (ohne je diese Drogen zu nehmen!) und habe meinen Loveparade Besuch in den 90-ern in Berlin immer noch besonders schöm in erinnerung.

    Aber so einfach entsteht eine Massenpanik, wenn man nur aus Renommè-Gründen eine Veranstaltung an Land zieht, aber eigentlich gar nicht verstanden hat, um was es geht. Dr. Motte und Co. wussten das (Die Erfinder), die Erwachsenen Entscheider aus dem Duisburg nicht!

     

    PS: Es ist so verlogen, wie die Reporter der öffentlich rechtlichen Programme (WDR bspw.) immer von nur Alkohol reden...denn nun sind sie in einer Falle. Sie haben mit Steuergeldern, die größte öffentliche Drogen-Dance-Party der Welt übertragen, können aber nicht die Wahrheit sagen, weil dann vielleicht mal kritisch nachgehakt werden könnte, warum die ARD für zugedröhnte Tänzer Steuergelder verprasst. Eine Loveparade überträgt man auch nicht. Entweder man ist vor Ort dabei oder nicht. Aber Jugendkultur einzufangen, damit man hipp ist, funktioniert eben nicht so, ihr Erwachsenen. Aber ihr gehjt eben über Leichen für ein Prestige, was euch nicht zusteht.

     

    Macht es gut da oben im Himmel, ihr Raver...ich tanze hier weiter für euch mit. I am very very sad.

  • D
    David

    Das tut mir im Herzen weh...

  • P
    polytechniker

    "die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen" bedeutet in diesem Fall Verstöße gegen die Versammlungsstättenverordnung (VStättVO) zu ahnden - und das sind 'nur' Ordnungswidrigkeiten die deswegen höchstens mit einer Geldstrafe bestraft werden.

     

    Das Thema der Veranstaltungshaftpflicht wird Sache der Zivilgerichte sein und vermutlich einige Jahre dauern, aber wie die Praxis* gezeigt hat, werden Veranstalter und Verantwortliche wenig zu befürchten haben.

     

    Sicher, einige Karrieren werden nun beendet sein.

    Aber da sich im Berufsalltag durchgesetzt hat, vor allem Verantwortung auf die untere und mittlere Hierarchieebene zu delegieren, werden es nicht Karrieren von 'Entscheidern' sein.

     

     

    *

    z.B.

    Gletscherseilbahn Kaprun II, 2000

    ICE 884 Eschede, 1998

    Eislaufhalle Bad Reichenhall, 2006

    Roskilde Festival, 2000

    Transrapid 08 Lathen, 2006

  • S
    Suki

    Danke! Gut auf den Punkt gebracht! Der Veranstaltung und den jungen Menschen unwürdig war das ganze Drumherum, "eine gigantische Geringschätzung" wie Horst Zimmer sagt, drückte sich darin aus und führte in eine leicht zu vermeiden gewesene Katastrophe - das ist der eigentliche Skandal! Duisburg war nicht geeignet für solch ein Großevent, Bochum hatte zuvor schon aus den richtigen Gründen abgelehnt.

     

    Oh ja, es müssen Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden. Hoffentlich finden die hinterbliebenen Angehörigen und Freunde der Toten und Verletzten die Kraft juristisch entsprechend vorzugehen!

  • F
    Ficino

    "Unter diesen Bedingungen hätte diese auch auf einem Kirchentag ausbrechen können." Diesen Unsinn glaubt der Herr Experte (hohoho) ja selbst nicht.

  • E
    emma

    Ich bin vollkommen Ihrer Meinung - nur ist das Beispiel des Kölner Karneval als ein Maß für den Alkoholkonsum sehr schlecht gewählt. Ich glaube, es gibt kaum ein Ereignis, an dem mehr Menschen betrunken sind.

  • H
    Hatem

    Ulkig, wie man als Erziehungswissenschaftler so weit weg von der Realität sein kann.

    Oder vielleicht auch gerade nicht.

  • MS
    Michael S.

    Indem Sie sagen, dieser Vorfall hätte auch auf einem anderen Event stattfinden können, entkräften Sie auch Ihre Aussage zur Schuldfrage. Es wird nicht einfach sein jemanden zur Rechenschaft zu ziehen. Wozu muss dies auch direkt nötig sein? Für das Gewissen einer Gesellschaft, die einen Schuldigen braucht um mit dem Familienfrühstück weitermachen zu können?

     

    Schicksale passieren wie im Artikel schon erwähnt auch woanders. Bei 1000 Menschen, genau wie bei einer Millionen. Indem ich dies hier sage, will ich nicht das was passiert ist runterspielen und auch nicht, dass vielleicht etwas falsch gemacht wurde. Ich bin selbst noch "Jugendlich" wenn Sie es so wollen, daher kann man mir nicht vorwerfen über irgendetwas zu reden einfach nur um des Redens willen.

     

    Genau das ist der Punkt, an dem Angesetzt werden muss. Die Medien benutzen dieses Ereignis wieder um die Sense kreisen zu lassen. Dies ist nicht okay in meinen Augen. Aber die Gier nach Spektakeln, Toten und Schuldigen muss ja befriedigt werden. Ich finde es sehr Schade, so etwas mit anzusehen.