Kommentar Hartz-IV-Armut: Die Wirklichkeit anerkennen

Mit den geplanten Gutscheinen wird Hartz-IV-Empfängern pauschal Unfähigkeit in der Kinderversorgung unterstellt. Das ist diskriminierend und doppelbödig.

Die Frage ist heikel: Sollen Hartz-IV-Familien künftig einen Teil der staatlichen Hilfen als Gutscheine bekommen oder ist genau das ein Angriff auf deren Menschenwürde? Bundessozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) plant nach Medienberichten, bei der Hilfe für die Kinder aus Hartz-IV-Familien künftig Gutscheine auszugeben, etwa für Musik- und Nachhilfeunterricht.

Nun ist sicher nichts einzuwenden gegen eine zusätzliche Bildungsförderung. Brisant wird die Frage der sachgebundenen Förderleistung aber dann, wenn das Geld nicht "obendrauf" kommt, sondern wenn die vom Verfassungsgericht angemahnte Neuberechnung der Regelsätze höhere Leistungen verlangt und ein Teil dieser Aufstockung dann in eine Art Bildungsgutschein umgewidmet wird. Ganz so, als seien Hartz-IV-Empfänger aufgrund persönlicher Schwächen nicht in der Lage, eigenverantwortlich Geld für die kulturelle Förderung ihres Nachwuchses einzusetzen.

Eine solche Unterstellung mag im Einzelfall sogar mal berechtigt sein. So gibt es etwa Hartz-IV-Empfänger, die suchtkrank sind und deswegen auch mit Geld nicht umgehen können. Das ist jedoch eine Minderheit, und eine solche Unfähigkeit den Transferbeziehern pauschal zu unterstellen ist diskriminierend. Und vor allem doppelbödig.

An anderer Stelle wird den Hartz-IV-Empfängern nämlich die Selbstverantwortung keineswegs abgesprochen, sondern von ihnen sogar Übermenschliches verlangt. So sollen die Leistungsempfänger laut Gesetz aus ihrem Regelsatz von monatlich 359 Euro Geld für eine Brille oder die Reparatur einer Waschmaschine vorausschauend "ansparen". Eine solche Sparanstrengung kann keiner leisten, immer mehr Hartz-IV-Empfänger bekommen vom Jobcenter daher für diese Notfälle Darlehen, um deren Miniraten der Regelsatz dann auf Monate hinaus geschmälert wird.

Anstatt dass die Politik ihre bürgerlichen Vorstellungen von Bildung und Ausgabendisziplin ausgerechnet an Hartz-IV-Empfängern erprobt, sollte man also die Wirklichkeit von Armut anerkennen: Nachhilfe und Musikstunden zusätzlich zu fördern ist gut, über die Wiedereinführung von "einmaligen Leistungen" für Notfälle neu nachzudenken wäre noch besser. Diese Gelder sollte man jedoch niemals mit den ohnehin zu schmalen Regelsätzen verrechnen. Hartz-IV-Empfänger brauchen jeden Cent. In bar.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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