Eine Stiftung regiert im Land: Die Methode Bertelsmann

Die Bertelsmann-Stiftung regiert Deutschland mit. Dabei ist sie undemokratisch und dient als Steuersparmodell. Die Stiftung bestreitet dies.

Alles im Griff: Die Vorsitzende der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft Liz Mohn neben einem Gemälde ihres 2009 verstorbenen Gatten. Bild: dpa

BERLIN taz | Reinhard Mohn fand in den 50er Jahren eine Steuerlücke, die ihm erlaubte, sein Unternehmen aufzubauen. Als der Staat diese Lücke schloss, fand der Bertelsmann-Chef neue legale Möglichkeiten, Gewinne im Unternehmen zu behalten. Die Bertelsmann Stiftung ist so eine Möglichkeit. Sie funktioniert wie eine Sparbüchse und erhält nur einen Teil der Gewinne.

Viele Millionen bleiben im Unternehmen. Höhe und Verteilung der Gelder bestimmt die Familie Mohn, die die Stiftung und ihr Vermögen unter Kontrolle hat. Verrechnet man die Steuererleichterungen und Ersparnisse mit den Ausschüttungen, dann zeigt sich, dass die Mohns die Stiftung de facto mit öffentlichem Geld betreiben. Das ist unternehmerisch geschickt.

Moralisch ist es jedoch fragwürdig, zumal die Stiftung keine Fördergelder verteilt, sondern die Interessen der Familie Mohn vertritt. Sie dient Mohns Idee, die Gesellschaft wie ein Unternehmen zu führen und durch Unternehmen führen zu lassen. Wettbewerb und Privatisierung sind ihre Leitgedanken, und manchmal wirkt es, als würde sie dem eigenen Unternehmen zuarbeiten.

Die Bertelsmann Stiftung wurde 1977 von Reinhard Mohn gegründet und ist eine operative Unternehmensstiftung. Sie vergibt kein Geld an Dritte, sondern fördert ausschließlich eigene Projekte, Studien und Reformvorhaben. Vorsitzender ist der ehemalige Bertelsmann-AG-Chef Gunther Thielen. Die Stiftung hält die Mehrheit an der Bertelsmann AG und sichert den Einfluss der Familie Mohn auf den Konzern. In den USA dürfte eine solche Stiftung nur 20 Prozent am Unternehmen halten.

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Ob Agenda 2010, Studiengebühren oder Gesundheitspolitik: Bei allen großen Reformvorhaben mischt die Stiftung mit und macht Politik. Demokratisch legitimiert ist sie nicht - sondern seit mehreren Satzungsänderungen eher eine Familienstiftung, in der Liz Mohn das letzte Wort hat. Trotzdem gilt sie weiter als gemeinnützig und wird de facto mit öffentlichem Geld betrieben. Von einigen Stiftungsprojekten wie dem Outsourcing öffentlicher Dienstleistungen profitieren aber zumindest indirekt auch der Konzern bzw. seine Tochterunternehmen - was Bertelsmann allerdings vehement bestreitet. STG

Die Stiftung bestreitet das, ohne die Vorwürfe entkräften zu können. Selbst wenn sie ihre Projekte nicht verwirklichen kann, profitiert Bertelsmann. Denn Eigentümer, Stiftung und AG erhalten Zugang zu Politikern - die Rechnung übernimmt die Allgemeinheit. Im Fall der Bertelsmann Stiftung ist die Vermengung von Politikberatung und Gemeinnutz einzigartig und problematisch. Was man in Gütersloh als Beratung und Gemeinnutz versteht, das könnte man genauso gut als Lobbyismus bezeichnen.

Die Bertelsmann Stiftung ist auf das Vertrauen der Gesellschaft angewiesen. Glaubwürdigkeit ist ihr höchstes Gut. Weil sie das weiß, sucht sie fortlaufend nach Kooperationen mit dem Bundespräsidenten und der Bundeskanzlerin. Sie giert danach zu hören, wie sehr sie der Allgemeinheit nutzt. Die Bundespräsidenten Herzog, Rau und Köhler haben es ihr oft und allzu bereitwillig öffentlich bestätigt - ebenso die Kanzler Schröder und Merkel. Natürlich sind einzelne Projekte der Stiftung durchaus gemeinnützig. Aber verfolgt die Stiftung in der Gesamtheit ihrer Projekte und vor allem in ihrer Konstruktion ausschließlich gemeinnützige Zwecke? Ist sie glaubwürdig in ihrem Anspruch und in ihrer Reformarbeit?

Die breite Kritik der vergangenen Jahre und das Ergebnis der Recherchen für dieses Buch legen ein gegenteiliges Urteil nahe: Die Stiftung dient in erster Linie dem Unternehmen, wenn nicht in einzelnen Projekten, dann in ihrer Konstruktion und Finanzierung. Sie hat viel an Vertrauen eingebüßt und sie wird - wenn sie sich nicht ändert - weiter an Glaubwürdigkeit und Einfluss verlieren.

Hat sie wirklich, wie Reinhard Mohn behauptet, keine Abhängigkeiten - vom Unternehmen oder von der Familie - zu fürchten? Vieles spricht im Gegenteil dafür, dass die Mohns nichts so sehr wie die Unabhängigkeit der Stiftung fürchten. Warum sonst hätten die Mohns im Laufe der Jahre die Satzung wieder und wieder geändert und die Stiftung damit quasi auf alle Ewigkeit zu einer gemeinnützigen Familienstiftung umfunktioniert? Durch die enge personelle Verflechtung von AG und Stiftung und die absolute Herrschaft der Familie ist die Abhängigkeit ein Wesensbestandteil der Stiftung geworden.

Mohn blickte gerne zu den USA, um Lösungen zu suchen. Aber ausgerechnet amerikanische Stiftungsexperten äußern grundsätzliche Zweifel an der Unabhängigkeit und an der Legitimation der Bertelsmann Stiftung. Denn die Bertelsmann Stiftung legitimiert sich nicht, indem sie gemeinnützige Organisationen fördert. Ihr liegt allein an der Durchsetzung von Mohns Wahrheiten.

In den USA betrachtet der Gesetzgeber die Konstruktion, die Reinhard Mohn als seine vielleicht größte Lebensleistung betrachtet, als Interessenskonflikt und beschränkte die Beteiligung von Stiftungen an Unternehmen. Der US-Juraprofessor Joel L. Fleishman, der oft in Gütersloh weilte und an Konferenzen der Bertelsmann Stiftung teilnahm, warnte in seinem Beitrag für das Handbuch Stiftungen der Bertelsmann Stiftung: "Wenn eine Stiftung von gegenwärtigen oder früheren Entscheidungsträgern des Unternehmens, das ihr gehört, weitgehend kontrolliert werden kann, verschärfen sich die rechtlichen und ethischen Probleme beträchtlich."

Wenn dann de facto ein Unternehmen die Stiftung führe, würde "auf diese Weise die Integrität des gesamten gemeinnützigen Sektors unterminiert". Fleishman warnte vor einer "Katastrophe" für die deutsche Stiftungslandschaft und davor, dass eine solche Abhängigkeit "das Gemeinwohl unvermeidlich verwässert". Und er kritisierte, es könnte "im Interesse des Unternehmens liegen, die Dividenden möglichst gering zu halten, um die auf diese Weise eingesparten Beträge für Forschungs- und Entwicklungszwecke oder die Expansion des Unternehmens zu verwenden, beispielsweise durch den Erwerb anderer Firmen". Genau das macht Bertelsmann. Fleishman findet es "bemerkenswert", dass der Zweck des Unternehmenserhalts, so wie Mohn ihn festgelegt hat, "weder als problematisch noch in irgendeiner Weise als unehrenhaft gilt".

Doch wie demokratisch muss eine Stiftung sein, die Einfluss nimmt auf die Demokratie? Eine Stiftung wie die Bertelsmann Stiftung ist das Gegenteil von Demokratie: Sie ist niemandem verantwortlich, legt keine Rechenschaft ab, ist in den entscheidenden Macht- und Finanzfragen intransparent und sie beantwortet nur Fragen, die sie selbst stellt. Der Stifter bestimmt alleine. Das ist ein Defizit, das einer demokratischen Gesellschaft nur schwer vermittelt werden kann. Mohn wollte alles messen, nur nicht die Effizienz seiner Stiftung. In den USA gibt es Stiftungen, die die internen Evaluierungen von Projekten der Öffentlichkeit zugänglich machen.

Demokratie heißt Öffentlichkeit. Die Bertelsmann Stiftung muss die Öffentlichkeit nicht nur über Erfolge, sondern auch über Fehlschläge unterrichten. Sie muss mehr Rechenschaft ablegen. Und die Aufsicht muss ihrer Rolle gerecht werden. Wenn Politiker das nicht einfordern, dann muss es die Gesellschaft tun. Dem Einfluss und Ansehen der Bertelsmann Stiftung würde das gut tun. Vor allem aber würde es sie effizienter machen.

Spürt die Stiftung, dass sie sich ändern muss? Bis jetzt ändert sie nur die Besetzung der Jury des von der Stiftung vergebenen Carl-Bertelsmann-Preises, der 2010 in Reinhard-Mohn-Preis umbenannt wurde. Statt wie bisher von einer Jury, deren Mitglieder die Familie Mohn bestimmt, sollen 2011 erstmals 10.000 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Bürger neue Ideen und Projekte beurteilen. Dazu will die Stiftung in 25 Städten regionale Bürger-Foren mit jeweils 400 Teilnehmern abhalten.

Das könnte ein Anfang sein, ist aber längst nicht genug. Die Stiftung darf nicht mehr als Sparbüchse des Unternehmens missbraucht werden, sondern sollte einen Anteil am Gewinn der Bertelsmann AG erhalten, der stärker ihrer tatsächlichen Beteiligung am Unternehmen entspricht. Die Stiftung sollte einen Teil dieses Gewinns jenseits ihrer operativen Projektarbeit zur Förderung gemeinnütziger Organisationen und Projekte verwenden.

Die Bertelsmann Stiftung ist undemokratisch, beeinflusst aber die Demokratie. Das kann eine demokratische Gesellschaft nur akzeptieren, wenn die Stiftungskonstruktion ein Mindestmaß an Mitsprache erlaubt. Familie Mohn muss ihren Einfluss begrenzen und akzeptieren, dass sie sich nicht selbst kontrollieren kann. Die Kontrolle der Stiftung darf nicht mehr die alleinige Sache der Familie Mohn sein. Die Gremien, die über Inhalte und ihre Finanzierung entscheiden, müssen ihren Alibicharakter ablegen, indem sie bezüglich ihrer Zusammensetzung und der Stimmrechte demokratisch entscheiden.

Die Stiftung muss endlich die Unabhängigkeit vom Unternehmen und von Familie Mohn erhalten, die sie für sich gegenüber Staat und Politik in Anspruch nimmt.

Erst wenn der Einfluss der Familie Mohn und der Bertelsmann AG zurückgenommen sind, kann sie das Vertrauen, das sie verloren hat, zurückgewinnen. Sie würde sich und der Allgemeinheit den Nutzen bringen, den sie stets vorgibt zu leisten, und verfügte über die nötige Unabhängigkeit, um unbequeme Fragen zu stellen.

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