Netzneutralität wird verhandelt: Google gegen die Freiheit im Netz

Zum Thema offenes Internet veröffentlicht Google ein Manifest – ausgerechnet zusammen mit dem größten US-Telekom-Konzern Verizon. Das verheißt nichts Gutes.

Was darf durchs Netz – und wie schnell? Bild: Gerti G. / photocase.com

BERLIN taz | Noch vergangene Woche hatten sich Google und Verizon angestrengt bemüht, Gerüchte über eine gemeinsame Strategie bei der umkämpften Netzneutralität zu zerstreuen. Nun ist klar: Die größte Suchmaschine der Welt und der größte US-Telekommunikationsanbieter haben hinter verschlossenen Türen doch ein gemeinsames Papier ausgekungelt, das sie am Montagabend vorlegten.

Mit ihrem "gemeinsame Vorschlag für ein offenes Internet" wollen die Konzerne offenbar die Richtung für eine offizielle Regulierung durch die US-Telekommunikationsaufsicht FCC vorgeben. Das so genannte "Manifest" wiederholt die Formulierung "offen" auffallend häufig. Demnach sprechen sich die beiden Konzerne für einen Erhalt der Netzneutralität aus. So dürfe ein Breitband-Anbieter nicht einzelne Websites oder Inhalteanbieter bevorzugen, solange diese dem Netzwerk oder Nutzern keinen Schaden zufügten. "Es darf keine Diskriminierung geben."

Allerdings lassen Google und Verizon mehrere Hintertüren offen. So sollen Firmen wie Verizon zwar im Festnetz-Internet ihren "klassischen Breitbanddienst" nicht verändern dürfen, also beispielsweise ungeliebte Konkurrenten ausbremsen und Jungfirmen ihre Chancen nehmen. Doch bei so genannten "neuen Diensten" – im Papier "differenzierten Online-Services" genannt –, sollen die Telekom-Riesen künftig komplett selbst entscheiden dürfen, was sie durchleiten und was nicht. Kritiker fürchten, dadurch könne mit der Zeit das Internet sich wieder in einzelne Online-Diensten fragmentieren, wie sie bis Mitte der Neunzigerjahre vorherrschten.

Netzneutralität bedeutet, dass ein Anbieter von Internet-Zugängen alle Daten gleich schnell durchleiten muss, die ein Nutzer beispielsweise über seine DSL-Leitung anfordert. Seit einigen Jahren wollen die großen Netzbetreiber jedoch zusätzliches Geld von großen Website-Anbietern sehen – etwa von Google, weil dort beispielsweise mit dem Videodienst YouTube sehr viel Datenverkehr verursacht wird. Lange Zeit lehnte Google solche Forderungen ab – auch deshalb, weil im Internet bislang galt, dass man nur für seinen eigenen Netzzugang (beispielsweise Server) zahlt, nicht jedoch noch einmal für den Zugang zum Endkunden. Nun schwenkte der Internet-Riese teilweise um.

Zudem sollen die Regeln eines offenen Netzes auch nicht für das mobile Internet gelten. Dieser Bereich erlebe "mehr Wettbewerb" und "verändere sich schnell", heißt es in der mehr als fadenscheinigen Begründung. Dabei ist das Drahtlos-Netz in den USA genauso wie in den meisten anderen Ländern der Welt jeweils nur auf eine Handvoll Betreiber beschränkt, die gerne auch noch ähnliche Preise verlangen. Wettbewerb sieht anders aus – zumal das mobile Internet seit Jahren weiterhin viel teurer ist als das drahtgebundene.

Faktischwürde dies bedeuten, dass Verizon laut dem Manifest beispielsweise unliebsame Dienste wie Internet-Telefonie blockieren dürfte, wenn sie im Wettbewerb zum eigenen lukrativen Sprachservice stehen – oder Online-Chats, die SMS-Einnahmen gefährden.

Interessant an dem Verizon-Google-Papier ist vor allem die Frage, warum sich der Internet-Riese so sehr an den US-Telekom-Giganten anschmiegt. Google könnte ohne Probleme weiterhin wie bisher für die Regeln eines offenen Netzes eintreten, das die Firma großgemacht hat. Es gibt keinen echten Grund für ein Abrücken, zumal dieser Biss in den verbotenen Apfel noch unangenehme Konsequenzen für den Rest des Netzes haben könnte.

Warum Google sich auf die gemeinsame Lobby-Arbeit mit Verizon einlässt, darüber lässt sich nur spekulieren: Eine Möglichkeit wäre, dass der Internet-Konzern den Telekommunikationsriesen braucht, um seine Mobilfunkplattform Android weiter durchzusetzen und damit Apples iPhone Konkurrenz zu machen.

Die Reaktionen im Netz auf den Verizon-Google-Deal fielen nach Bekanntwerden am Montagabend jedenfalls verheerend aus. Im offiziellen Google-Blog machten Kommentatoren ihrem Unmut Luft. "Google hat letzte Woche gelogen", hieß es zum Beispiel oder "Was für ein Ausverkauf!". Kritik wurde auch am Begriff der "legalen Inhalte" laut, die allein unter das Netzneutralitätsgebot fallen sollen. "Das bedeutet, dass die zentralen Behörden Dinge wie Wikileaks für illegal erklären und abschalten können", schrieb ein User. Ein anderer meinte: "Leute, wacht auf. Google ist wirklich böse."

Vor allem Online-Aktivisten, die bislang annahmen, den Internet-Riesen auf ihrer Seite zu haben, zeigten sich am Montagabend schwer enttäuscht. "Der Vorgang beweist, dass Kunden, die Netzneutralität wünschen, sich nicht auf große Firmen verlassen können", sagte ein Sprecher der Initiative "Public Knowledge" gegenüber taz.de. Dort hofft man nun darauf, dass die zuständige Regulierungsbehörde FCC sich nicht auf die Vorstellungen von Google und Verizon einlässt, sondern strikte Neutralitätsregeln aufstellt. Das ist jedoch alles andere als sicher.

Die gemeinsame Position eines Internet-Riesen und eines bedeutenden Telekom-Konzerns könnte auch Auswirkungen auf den europäischen Markt haben. Dort wird ein Recht auf Netzneutralität bislang nur debattiert.

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