Kunstaktivisten im Kampnagel: Fische, Vögel, Ameisen

Die englische Gruppe Labofii versteht sich als Labor für aufständische Ideen. In der Kulturfabrik Kampnagel in Hamburg versucht sie, den Leuten Schwarmintelligenz beizubringen.

Fahrradfahrendes Publikum im Kulturzentrum Kampnagel: Ob Kunst oder Politik - Hauptsache, man ist aktiv dabei. Bild: John Jordan

Die Probebühne p4 der Kulturfabrik Kampnagel gleicht einer seltsamen Fahrradwerkstatt, einer Art "Pimp my Bike": Zu lauter elektronischer Musik experimentieren junge, gut aussehende Menschen mit Konstruktionen aus Rädern mit Lautsprechern, Monitoren und Solarzellen. John Jordan und Isabelle Fremeaux schweißen, kleben und schrauben zusammen mit sechs weiteren Teilnehmern. Sie nennen sich "Artivisten" und sind Teil des Laboratory of Insurrectionary Imagination (Labofii) - des Labors für aufständische Ideen.

Seit sieben Jahren arbeiten sie daran, einen Raum zwischen Kunst und Aktivismus zu öffnen. "Künstler sind fantasiereich, neugierig, poetisch, aber egozentrisch: Sie tun nur so als ob", sagt der Brite Jordan, einer der Gründer des Labors. Politische Aktivisten hingegen hätten mehr Mut zur tatsächlichen Veränderung der Gesellschaft, aber zu wenig Fantasie. Das Labofii verbindet also die besten Eigenschaften beider Seiten, um zivilen Ungehorsam wieder salonfähig zu machen, "ganz wie die Dadaisten oder Künstler wie Gustave Courbet und Joseph Beuys", sagt Jordan, nicht gerade bescheiden.

Ihr Projekt für das Sommerfestival auf Kampnagel "Flow Swarm Flood" begannen sie mit "Flow", in deren Zentrum eine Filmvorführung von "Paths through Utopias" stand, über Kommunen und Initiativen in Europa, die ein Leben außerhalb des allgegenwärtigen Kapitalismus suchen. Die Filmdoku erzählte vom Anti-Flughafen-Camp, von Kunstkooperativen und von Freie-Liebe-Lebensgemeinschaften. Anstrengend war diese mitunter sperrige Dokumentation vor allem, weil der Film vom Publikum selbst erst über permanente Pedalbewegung von vier Fahrrädern zum Laufen gebracht werden musste.

Beteiligung ist die Grundidee von Labofii. Beim Interventionstraining "Swarm" sollen die radelnden Teilnehmer demnächst lernen, Schwarmintelligenz nach dem Vorbild von Fischen, Vögeln oder Ameisen für politische Aktionen zu nutzen. Dafür kontaktierte das Labor Hamburger Kunst- und Politikzentren wie das Gängeviertel, den Butt Club oder die Rote Flora.

Krise als Katalysator

"Die Krise dient als Katalysator für radikale neue Ideen", glaubt Jordan. Beinahe zynisch spielt der aktuelle Zustand der Welt diesem Prinzip in die Hände: Ob über die Wirtschaftskrise seit Herbst 2008 oder via Naturkatastrophen wie Überschwemmungen in Pakistan und China, Brände in Russland, Öl im Golf von Mexiko. Im vergangenen Monat feierte das Londoner Museum Tate Britain 20 Jahre Förderung durch British Petrol (BP). Für die Leute vom Labor war das ein perfekter Zeitpunkt, den Aufstand kreativ und medienwirksam zu proben. Den Empfang zur Ausstellung nahmen Labofii zum Anlass, ihre eigene kleine Ölkatastrophe zu inszenieren: Der rote Teppich vor dem Eingang wurde geteert und gefedert. In der Tate Modern ließen sie riesige, pechschwarze Luftballons mit toten Fischen und künstlichen toten Vögeln aufsteigen. Und weil das Foyer so hoch ist, mussten die Sicherheitskräfte die Ballons tatsächlich mit Gewehren abschießen, um sie entfernen zu können. "Mitten beim Empfang, in Anwesenheit von Presse und Fernsehen", freut sich Fremeaux, ebenfalls Gründungsmitglied des Labors.

Humor ist ein wichtiger Bestandteil der Labofii-Interventionen, nicht umsonst gilt der Hofnarr als Archetyp der Machtkritik: "John Jordan hat erkannt, dass viele politische Aktivisten am Burn-out-Syndrom leiden", sagt Matthias von Hartz, künstlerischer Leiter des Sommerfestivals. "Um den Druck aus der Bewegung zu nehmen, rief er 2003 die Clandestine Insurgent Rebel Clown Army, die geheime Armee aufständischer Rebellen-Harlekins ins Leben." Die Idee war so erfolgreich, dass 2007 beim Weltwirtschaftsgipfel in Heiligendamm viele Aktivisten als Clowns verkleidet auftraten, ohne dass Jordan überhaupt beteiligt war. Das war ganz in seinem Sinn, denn "im besten Fall werden wir unsichtbar, nachdem wir unsere Ideen weitergegeben haben, damit sie sich verselbstständigen."

Am kommenden Sonntag werden in Hamburg bei "Flood" Fahrräder zu Instrumenten einer stadtweiten Soundinstallation - dann hoffentlich mit mehr Teilnehmern als "Flow". Denn etwas mehr ziviler Ungehorsam würde der Hansestadt gut zu Gesicht stehen.

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