20 Jahre im Prenzlauer Berg: Das Kulturgebräu

Die Kulturbrauerei wird 20. Das Kultur- und Gewerbezentrum ist erfolgreich, weil es für alle etwas bieten will: Baggerdisko und Literaturlesungen, Muckibude und Kino.

Die Kulturbrauerei feiert: sie wird 20 Jahre alt! Bild: dpa

Es ist erst kurz vor Mitternacht, früh für die Berliner Partyszene, doch die Schlange vor dem Soda-Club in der Kulturbrauerei ist schon jetzt gute 20 Meter lang. Die Wartenden stehen einmal quer über den Hof. Trotz Kälte tragen die meisten junge Frauen recht wenig: knappe Röcke, High Heels, dazu jede Menge Make-up. Bei den Jungs - viele um die 20 Jahre alt - sieht man weiße Hemden oder enge T-Shirts unter den Jacken. Einige zeigen ihre Goldketten, und sogar ein paar "Brillis" im Ohr blitzen auf. "Mir ist kalt", sagt ein Mädchen bibbernd. Ihre Freundin mit wasserstoffblondem Haar und weißen Stiefeln reicht ihr eine Sektflasche. "Das hält dich warm, bis wir drin sind." 15 Minuten müssen sie noch warten.

Ein ganz normaler Wochenendabend in der Kulturbrauerei, die es nun seit 20 Jahren schon gibt. An der einen Ecke verlassen die letzten Besucher das Achtfachkino. Der Supermarkt hat schon zu. Im kleinen Avantgarde-Club NBI stapeln sich die Besucher. Vor dem Frannz-Club stehen ein paar ältere Semester und rauchen. Andere legen eine Pause beim Wurststand ein, um noch mal Kraft für die Nacht zu tanken. Und manchmal sieht man einen der Medienschaffenden spät aus seinem Büro kommen. "Ja, wir stehen jetzt vor dem Soda", ruft ein junger Mann in der Schlange in sein Handy. Nachdem er aufgelegt hat, verkündet er seinen Freunden strahlend: "Die kommen gleich auch alle hierher." Zustimmendes Gegröle und Gelächter. Die Stimmung ist ausgelassen.

Die Kulturbrauerei, dieses 25.000 Quadratmeter große Areal der ehemaligen Schultheiss-Brauerei zwischen Schönhauser Allee und Knaackstraße, ist eines der meistbesuchten Freizeit- und Kulturzentren der Stadt und mit rund 40 Mietern fast ganz ausgelastet. Für viele Berliner jedoch, die noch die Anfangsjahre in den Neunzigern miterlebt haben, als sich hier die Ostberliner Alternativszene tummelte, gelten die schick sanierten und mit modernen Gebäudeteilen aufgemotzten Backsteinbauten als Inbegriff der Kommerzialisierung. Manche nennen sie gar einen "Unort".

Das rund 25.000 Quadratmeter große Gelände mit meist prächtigen Gebäuden entsteht ab 1878 nach Plänen des Architekten Franz Heinrich Schwechten. Bis 1967 braut hier Schultheiss.

1974 wird das Ensemble unter Denkmalschutz gestellt, trotzdem verfällt es. Auf dem Gelände ist der legendäre Livemusikclub Franz untergebracht.

1990 besetzt eine Gruppe aus rund 20 Leuten das Gelände und plant eine umfassende kulturelle Nutzung. 1996 zieht unter der Regie der Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft eine "bunte Mischung aus Kultur, Dienstleistung und Gewerbe" ein. Von 1998 bis 2000 wird saniert.

Das 20-jährige Bestehen wird ein Jahr lang gefeiert. Auftakt am 1. September mit Sektempfang (18.30 Uhr) und Theaterspektakel im Hof (ab 20.30 Uhr)

Das Konzept der Kulturbrauerei ist ein Kessel Buntes für jedermann. Während sich das Wochenend-Feiervolk aus Nordberlin und dem Umland zwischen Soda-Club, Biergarten und Billard-Lounge verteilt, bieten Supermarkt, Kino und Fitnessstudio Infrastruktur für die Anwohner. Mitte-Kids treffen sich zu Konzerten im Kesselhaus, Kulturspezialisten besuchen die Literaturwerkstatt oder das Theater Rambazamba, Touristen ziehen der Lucia-Weihnachtsmarkt und das Klassik-Open-Air an. Um im Nordflügel die Haus-der-Geschichte-Sammlung zur DDR-Alltagskultur zu finden, muss man allerdings schon hervorragende Ortskenntnis haben.

Es ist leicht, sich in dem gewaltigen Komplex zwischen Sudhaus und Gärkellern zu verirren. Die 1878 nach Plänen des Architekten Franz Heinrich Schwechten errichtete Anlage umfasst sechs Höfe, mehr als 20 Gebäude und vier Ausgänge. Das Ensemble gehört zu den wenigen gut erhaltenen Berliner Industriearchitekturdenkmälern und wurde 1974 unter Denkmalschutz gestellt. In den 1920er Jahren war die Anlage Hauptsitz der Berliner-Kind-Schultheiss-Brauerei GmbH, die damals größte Lagerbierbrauerei der Welt. 1967 wurde der Brauereibetrieb eingestellt, die Renovierung der inzwischen baufälligen Gebäude begann aber erst 1998.

Zwischen 2001 und 2002 machten Insolvenz und Betreiberwechsel die Kulturbrauerei zum Sorgenkind des Senats. Seitdem hält das Land mit jährlichen Zuschüssen von rund 1 Million Euro für Konzertbetrieb, Literaturwerkstatt und Theater die Kulturmieter auf dem Gelände.

Die Subventionen garantieren, dass zwischen Biergarten und Mainstreamkino auch Diskussionsreihen über Homophobie oder brasilianischer Folk eine Chance haben. Für alle, die damit nichts am Hut haben, gibt es immer noch reichlich Cocktails und Ladies Nights. Und ein großes Kinderfest unter dem Motto "Der Berg tobt". Damit ist die Kulturfabrik endgültig im Prenzlauer Berg von heute angekommen.

Gegen ein Uhr sind die fünf Tanzflächen des Soda-Clubs brechend voll. Während überwiegend Mädchen zu HipHop, Electro und Cross Over mit dem Hintern wackeln, stehen junge Männer breitschultrig und mit verschränkten Armen an der Bar, um die Szene zu beobachten. Hin und wieder nicken sie professionell im Takt und lassen sich zu der ein oder anderen wippenden Bewegung hinreißen. Die ganz Mutigen tanzen auch schon mal ein Mädchen an. Eine ganz gewöhnliche Party eben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.