Sommer im Museum: Mit Flint und Lure

Das archäologisch-ökologische Zentrum Albersdorf will seinen Besuchern das Leben im steinzeitlichen Dorf vergegenwärtigen. Statt prunkvolle Funde zu präsentieren, rekonstruiert es Landschaft, Ackerbau und Vieh von vor 5.000 Jahren.

Die Steinzeit war Holzzeit: Das gilt auch und vor allem fürs Wohnen. Bild: Hajo Schiff

Eine grüne, freundliche Landschaft ist die Dithmarscher Geest. Und so wurde dort Albersdorf, nahe dem 1895 von Kaiser Wilhelm eingeweihten Nord-Ostsee-Kanal und mit der damals neuen Eisenbahn erreichbar, um 1900 zu einem beliebten Luftkurort samt eisenhaltiger Heilquelle. Dass die Menschen diese Gegend schon seit Jahrtausenden schätzen, belegt mitten im Ort der Brutkamp, ein Hügelgrab aus der Jungsteinzeit mit dem größten Deckstein Norddeutschlands mit 23 Tonnen Gewicht.

Nutzt man die heute alle zwei Stunden ankommende Eisenbahn, trennt nur noch eine Straßenbreite vom Eintauchen in jene fernen Zeiten vor rund 5.000 Jahren, die Albersdorf inzwischen zu einem touristischen Schwerpunkt gemacht hat: Das Bahnhofshotel von 1910 ist seit 2005 ein archäologisches Museum.

Hinter dem Schädel eines Ur und der Vitrine mit Steinzeitwaffen aus Flint samt einer vom Pfeil erlegten und ausgestopften Wildente zeigen Landschaftsprofile die Änderungen der Küstenlinien, an Bodenprofilen werden die Vegetationsphasen und der mehrfache Klimawandel demonstriert. Schautafeln und Modelle erläutern die Stein- und frühe Eisenzeit und zeigen Relikte aus der Region, wie Keramiken und ein uraltes Einbaumboot. Schön auch der lilafarbene Schrank, in dessen Schubladen gezeigt wird, was in verschiedenen Bodentypen von einem gleichen Fund erhalten bleibt: Nur das Moor konserviert über lange Zeit auch Früchte, Leder und Haut.

Kleine, feine und vor allem: unbekannte Museen des Nordens zeigen wir in dieser - in loser Folge erscheinenden - Reihe. Dazu zählen von Privatinitiativen gepflegte Gedenkorte, Museen zu zunächst abseitig erscheinenden Themen oder Häuser voller Preziosen inmitten idyllischer Landschaft.

Dabei klingt die ganze Zeit durch die Räume ein eigenartiges Quietschen: Im hintersten Raum hantieren Jugendliche mit drillbohrerartigen Gerätschaften. Mit Holz Feuer machen, mit flintsteinbesetzten Geräten arbeiten oder nachgebauten Luren, das sind bronzezeitliche Blasinstrumente, Musik zu entlocken, ist für die Jüngeren attraktiv.

Die Älteren erfahren, wie sehr sich der Forschungsschwerpunkt der Archäologie in den letzten Jahrzehnten verändert hat: Es geht den Altertumsforschern heute nicht mehr so sehr um prunkvolle Funde, wie die schon 1860 entdeckten Albersdorfer Goldschalen. Sondern um die möglichst komplette Rekonstruktion früherer Lebenswelten und deren Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Um so aus der Vergangenheit zu lernen, bedarf es der Kooperation mit den Naturwissenschaften, besonders der Botanik und Biologie.

So ist das Museum nur ein Teil des "AÖZA - Archäologisch Ökologisches Zentrum Albersdorf" genannten Verbundes von einem Haus im Zentrum mit der Dokumentation historischer Funde, vom eher erlebnisorientierten Steinzeitdorf am Ortsrand und der umgebenden, experimentell zurückgebauten Landschaft. Am Anfang des Rundgangs durch das zehn Minuten vom Museum entfernte, abgezäunte Areal des Steinzeitdorfes liegt ein Rasenlabyrinth aus kleinen Steinen. Es wurde von einer Schulklasse nach einem gotländischen Vorbild um 1000 v. Chr. angelegt.

Das macht gleich klar: Die Geest um Albersdorf ist zwar nachweislich uraltes Siedlungsgebiet mit vielen originalen Spuren, doch alles was hier im Schatten eines etwa 4.900 Jahre alten Grabhügels zum Erleben aufgebaut wurde, vom Flintabschlagplatz über die vorgeschichtlichen Felder und den Vierpfostenspeicher bis zum Schlafplatz mit seinen Einrichtungsobjekten, ist eine Nachinszenierung.

Nach den inzwischen bis ins kleinste Detail analysierbaren Bodenfunden anderer Ausgrabungen in Niedersachsen wurden im Sinne der experimentellen Archäologie Häuser nachgebaut, die mit ihren Reetdächern bei weitem nicht so urtümlich aussehen, wie vermutet.

Auch das erst dieses Jahr nach einem Befund aus Südschweden fertiggestellte Heiligtum mit seinen Palisaden macht klar: Die Steinzeit war, was Bauten angeht, von wenigen Findlingssetzungen abgesehen, wesentlich eine Holzzeit.

Wichtig bei diesem erst 1997 begonnenen Projekt - und auch für die verschiedenen Fördertöpfe entscheidend - ist der ökologische Aspekt, nämlich der Versuch, auf 40 Hektar die Landschaft der Steinzeit, samt Ackerbau und damals vorhandenem Vieh wiederherzustellen. So wurden alte Pflanzensorten angebaut, im nahen Wald die modernen Tannenmonokulturen entfernt, mit Brandrodung und historischem Baumschnitt experimentiert. Von 2000 bis 2003 war Albersdorf wesentlich an dem zwölf Orte in neun Ländern umfassenden EU-Projekt "Wege in europäische Kulturlandschaften" beteiligt.

Heute halten 30 ehrenamtliche Mitarbeiter das als gemeinnützige GmbH organisierte und nur von der Gemeinde Albersdorf und einem Freundesverein unter dem Vorsitz des langjährigen Bürgermeisters Manfred Trube getragene AÖZA am Laufen. Und die Anerkennung steigt: Für die nachgestellten Steinzeit-Sequenzen der ZDF-Archäologie-Sendung "Terra X" am 29. August wurde hier tagelang gefilmt.

Auf einem Spaziergang in die nähere Umgebung verändert sich nach all diesen Informationen der Blick: Nichts an dieser grünen Idylle ist mehr Natur, all dies ist seit Jahrtausenden von Menschen überformt worden. Den über 150 Hinweistafeln im großen Außengelände ist zu entnehmen, dass da, wo man bestenfalls ein paar Pilze sucht, schon Steinzeitbauern ihre Spuren hinterließen, die die Landschaft bis heute prägen.

Doch die seit Jahrtausenden menschengemachten Veränderungen waren nicht immer im Bewusstsein der Nachfahren: Manches wurde in Märchenform überliefert, anderes schnöde umgenutzt: So wurden von den meisten der zahlreichen Langbetten, den hier in der Trichterbecherkultur um 2.700 v. Chr. gebauten rechteckigen Grabhügeln, die Findlingssteine entfernt, um sie zu zerklopfen und für die Straße nach Heide zu verbauen. Zurück auf der Autobahn erscheint sogar das ein lehrreiches Bild für das, was jeweils wirklich wichtig ist: Die Tempel unserer Zeit sind die Straßen.

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