Kommentar Grünen-Boom: Die Schwammigen

Die Grünen profitieren von einem diffusen Unbehagen an der Parteiendemokratie und saugen wie ein Schwamm links und rechts Unzufriedene auf.

Die Grünen liegen, seriösen Umfragen zufolge, im Bund bei 18 Prozent. Bei den Wahlen, etwa in NRW, haben sie gut abgeschnitten. Sie sind populär wie nie. Warum eigentlich?

Bestimmt nicht wegen ihrer glanzvollen Regierungsarbeit in Hamburg und im Saarland. In der Hansestadt wurde die erste schwarz-grüne Koalition als historisches Ereignis gefeiert. Davon ist seit dem verlorenen Volksentscheid in der Schulpolitik nichts mehr übrig. Im Saarland lastet auf den Grünen der Verdacht, dass Geldspenden eines FDP-Unternehmers die Bildung der Jamaika-Koalition enorm beflügelten.

Das müsste eine Partei mit einem so streng moralischen Selbstbild ins Mark treffen. Tut es aber nicht. Denn die Grünen sind anscheinend unverwundbar: Sie sind bürgerlich, aber auch ein bisschen alternativ, staatstragend, aber demotauglich, ein bisschen neoliberal, aber eigentlich auch für einen etatistischen Green New Deal. Sie sind in der Mitte angekommen, aber auch ein bisschen anders. Meinungsführer sind sie noch immer nur bei der Umwelt, sonst nirgends. Selten war eine Partei so grundlos erfolgreich.

Natürlich ist manches an dem Hoch flüchtig und situativ. Die Grünen profitieren von einem diffusen Unbehagen an der Parteiendemokratie und saugen wie ein Schwamm links und rechts Unzufriedene auf. Außerdem ist der Rhythmus der Stimmungswechsel schneller geworden. Gestern war die FDP ganz weit oben, heute sind es die Grünen, morgen andere. Eine abstruse Verwechslung ist insofern das Wort von der neuen Volkspartei. Die Grünen sind nichts weniger als das. Sie sind eine relativ kleine Milieupartei aus Beamten, Lehrern, Selbständigen, ohne Arbeiter und Arbeitslose.

Was die Partei von ihrem gefühlten Höhenflug am Ende haben wird, ist völlig offen. Der Protest gegen den schwarz-gelben Atomdeal hat ihre Street Credibility erneuert. Ihre Koalitionsmöglichkeiten aber sind mit Merkels Pro-Atom-Kurs rasant zusammengeschmolzen. Denn die Grünen können alles Mögliche sein, aber keine AKW-Partei. Damit ist der Traum von Schwarz-Grün fürs Erste geplatzt. Ihr Lieblingsort, in der Mitte zwischen SPD und Union, ist damit abgebrannt.

Gegen Schwarz-Gelb zu sein ist derzeit nicht schwierig. Die Frage lautet, ob die Grünen den Mut haben, mit SPD und Linkspartei eine Alternative zu schmieden. Dafür müssten sie sich entscheiden. Können sie das?

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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