Kommentar Hartz-IV-Neuregelung: Nicht nur eine Frage der Menschenwürde

Im alten Hartz-IV-Regelsatz waren noch Beträge für Alkohol und Zigaretten enthalten. Diese Posten einfach zu streichen, riecht gewaltig nach einem willkürlichen Rechentrick.

Fünf Euro mehr für Erwachsene, keinen Cent mehr für Kinder: So viel ist dieser Regierung also die Würde von Arbeitslosen und ihren Familien wert. Das ist nicht nur dreist, es lässt auch beunruhigende Schlüsse auf die Empathiefähigkeit in Deutschland zu. Wir leben in einem der reichsten Länder der Erde, in dem vor über 120 Jahren das Sozialversicherungssystem etabliert wurde. Doch in den letzten Wochen und Monaten gab es hierzulande nicht einmal den Ansatz einer Debatte darüber, was ein Mensch braucht, um in Würde zu leben und an dieser Gesellschaft teilhaben zu können.

Bekommt man mit 80 Euro im Monat ein Kind satt? Reichen 300 Euro im Jahr aus, um Heranwachsenden die Jacken, Pullover, Hosen und Schuhe zu ersetzen, aus denen sie in null Komma nichts wieder herauswachsen? Über solche Fragen hätte man debattieren müssen. Stattdessen wurden sie auf dem Altar von Haushaltsdisziplin und Lohnabstandsgebot geopfert.

Die Regierung hat die politisch hoch umstrittene Schuldenbremse im Grundgesetz verankert und unternimmt seit Jahren nichts gegen die - wirtschaftspolitisch gewollte - Ausweitung des Niedriglohnsektors. Deshalb dürfen Hartz-IV-Empfänger jetzt nicht mehr Geld erhalten, lautet die Begründung für den Geiz von oben. Es ist eine perfide Strategie: Erst schafft man unumstößliche Sachzwänge, und dann beruft man sich auf sie, um ein harsches Sparprogramm zu rechtfertigen.

EVA VÖLPEL ist taz-Redakteurin für Soziales und Arbeitsmarkt im Ressort Inland.

Dabei wären höhere Hartz-IV-Sätze nicht nur eine Frage der Menschenwürde. Oft genug hält der zu niedrige Hartz-IV-Satz die Menschen von Arbeitsplätzen und Bildung fern. Etwa wenn sie auf dem Land leben, wo der Bus nur zweimal am Tag fährt, und sie kein Geld haben, sich ein Auto zu leisten, das für die Fahrt zu einem neuen Arbeitsplatz nötig wäre. Oder wenn Kinder nicht mehr aufs Gymnasium gehen können, weil die Kommune die Gebühren für den Schulbus nur bis zur 10. Klasse übernimmt. Da scheitert der soziale Aufstieg an Cent-Beträgen.

Diese Regierung muss aufpassen, dass ihre Hartz-IV-Entscheidung nicht erneut vor dem Bundesverfassungsgericht landet. Karlsruhe hat zwar nicht verfügt, dass die Regelsätze steigen müssen, aber das Gericht hat eine sachgerechte, transparente Neuberechnung ohne Abschläge "ins Blaue hinein" verlangt. Im alten Regelsatz waren noch Beträge für Alkohol und Zigaretten enthalten. Diese Posten einfach zu streichen, um Geld zu sparen, riecht jedenfalls gewaltig nach einem willkürlichen Rechentrick.

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Jahrgang 1976. Ist seit 2009 bei der taz und schreibt über Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie die Gewerkschaften

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