Klimawandel in der Architektur: "Glas ist nicht per se schlecht"

Auf alte Bautraditionen zurückzugreifen ist richtig - reicht aber nicht, so der Architekt Stefan Behnisch. Häuser werden ihr Erscheinungsbild künftig den Jahreszeiten anpassen.

"Glas erreicht mittlerweile gute Dämmwerte", sagt Stefan Behnisch. Bild: dpa

taz: Herr Behnisch, werden wir bei Wohnungsanzeigen künftig statt nach "sonnendurchfluteten, hellen Räumen" nach "dunklen, kühlen Wohnungen" suchen?

Stefan Behnisch: Das glaube ich nicht, auch wenn wir in einigen Regionen extremere Sommer bekommen.

Wie werden wir dann wohnen, um mit dem Klimawandel zurechtzukommen? Wie im Süden hinter weiß getünchten Mauern?

Vergessen Sie nicht, dass auch extremere Winter kommen werden. Aber sicherlich müssen wir hellere Dächer machen, damit sich die Wohnungen nicht so stark aufheizen. Auch rund um die Häuser brauchen wir helle Beläge statt dunklem Asphalt. Zudem werden wir die Häuser im Sommer kühlen.

Durch Brunnen im Innenhof?

Eher durch solare Kühlsysteme. Das Sonnenlicht, das wir auf dem Dach einfangen, können wir mittlerweile in Strom, Wärme oder Kälte umwandeln - je nachdem, was wir gerade brauchen.

studierte zunächst Philosophie und Volkswirtschaft, bevor er zur Architektur kam. 1989 gründete er das international agierende Stuttgarter Büro Behnisch Architekten. Er ist 53 Jahre alt.

wohnt in einem Einfamilienhaus in Stuttgart, genauer: in einem 50er-Jahre-Haus. Er hat das, wie er sagt, "Mangelhaus mit zu dünnen Wänden" umgebaut, renoviert, gedämmt. Sein Architekturbüro, auch ein altes renoviertes Haus, heizt und kühlt er mit Geothermie. Er hat dafür "in den Parkplatz acht Löcher gebohrt".

Der Vater Günter Behnisch war auch Architekt. Er wurde durch den Bau der Anlage für die Olympischen Spiele 1972 in München weltbekannt. (hg)

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Energievebrauch: Auf den Gebäudebereich entfallen in Deutschland 40 Prozent des Energieverbrauchs und etwa ein Drittel der CO2-Emissionen. Die Bundesregierung verfolgt darum das Ziel, den Energiebedarf von Häusern und Wohnungen bis zum Jahr 2050 um 80 Prozent zu senken. Ursprünglich war sogar im Energiekonzept vorgesehen, dass bis dahin alle Gebäude klimaneutral sind - also durch bessere Dämmung und den Einsatz von Ökoenergie kein CO2 mehr freisetzen. Unter dem Druck der Hauseigentümerlobby wurde das Ziel abgemildert. Verpflichtende Vorgaben soll es nur bei Neubauten und umfassenden Sanierungen geben; eine Pflicht zur Dämmung von bestehenden Gebäuden ist nicht mehr vorgesehen.

Sanierung: Die Regierung setzt stattdessen auf wirtschaftliche Anreize. Bisher sind die Mittel für das Gebäudesanierungsprogramm aber nicht aufgestockt, sondern gekürzt worden.

Überblick: Die Verbraucherzentralen informieren über die diversen Förderprogramme für umweltfreundliches Bauen und Sanieren, etwa vergünstigte Kredite (www.baufoerderer.de).

Dann muss ich im Winter nicht mit zwei dicken Pullovern in meiner Wohnung sitzen?

Keine Sorge, unsere Häuser werden wandelfähig sein. Im Sommer werden die Fassaden sehr hell und geschlossen sein, um die Hitze abzuschirmen. Im Winter hingegen sollten sie dunkel und offener sein, um Tageslicht reinzulassen sowie Sonnenwärme zu absorbieren und zu nutzen.

Wie ändert sich die Fassade?

In Ihrem Haus schieben Sie wie früher einfach die Läden vor. Bei Verwaltungsgebäuden oder größeren Wohnhäusern wird das elektronisch gesteuert. Da werden dann vor der ganzen Fassade Falt- oder Schiebeläden aufgehängt, die sich gesteuert öffnen und schließen. So erscheinen sie je nach Außenbedingungen wie fensterreiche oder wie eher geschlossene Gebäude.

Müssen wir Windräder hinsetzen, um genug Energie für diese Kühltechnik zu haben?

Windräder auf Stadthäusern haben kaum Zukunft. Die Effizienz ist in Städten zu gering. Sie machen Lärm, bringen Vibrationen. Wir werden die Sonne nutzen, und zwar viel besser und effizienter, als wir uns heute vorstellen können.

Jedes alte Haus hat dicke Außenwände, in Nordeuropa, am Mittelmeer, im Orient. Warum besinnen sich Architekten nicht auf Bautraditionen?

Wir bauen wie im Mittelalter - und dann ist die Welt wieder in Ordnung?

Zum Beispiel.

Nein, das reicht nicht. Die dicken Außenwände sind richtig im Sommer, im Winter sind sie es aber nicht. Wer kleine Fenster hat, braucht viel Kunstlicht. Das ist das, was Prinz Charles immer einfordert, das geht aber nicht so einfach. Außerdem hatte das Mittelalter Stein, Holz, Lehm und Mörtel als Baumaterialien. Das schränkte die Möglichkeiten ein. Wir haben heute eine viel größere Auswahl an Werkstoffen, auch an besseren.

Prinz Charles ärgert Sie doch nur, weil er den Architekturkritiker gibt und sich gegen diese Glasbauten stemmt, die überall auf der Welt gleich aussehen.

In der Vergangenheit sind Fehler gemacht worden. Architekten haben gedacht, dass sie die Natur überwinden und Probleme durch Energie kompensieren können. Das lag daran, dass Energie zu billig war. Ich gebe Prinz Charles ja durchaus recht, dass wir wieder zu einem Bauen zurückkommen müssen, das sich an den klimatischen und kulturellen Bedingungen der jeweiligen Regionen orientiert.

Aber?

Das darf natürlich nicht zu einem stupiden Neokonservatismus in Kunst und Architektur führen, wie die Gruppe um Prinz Charles ihn fordert. Glas wird immer als Feind betrachtet. Es ist aber nicht per se schlecht. Die meiste Wärme in Wohnungen oder Büros kommt von Computern, Druckern oder Beleuchtung. Glas erreicht mittlerweile gute Dämmwerte, zumal wenn es mit einem Sonnenschutz kombiniert wird. Und nur wer Glas nutzt, erreicht, dass 80 Prozent der Arbeitszeit bei Tageslicht stattfinden kann.

Klimaforscher warnen schon seit Jahrzehnten. Warum machen sich Architekten erst jetzt klar, dass es heißer wird?

Ich will nicht unbedingt meinen Berufsstand in Schutz nehmen, aber es ist schon eine geteilte Verantwortung. Die Spekulationsblase hat ein Riesenproblem verursacht. Bauherren haben plötzlich nicht mehr für sich selbst gebaut, sie wollten nur schnell wieder verkaufen. Denen war es gleichgültig, wie viel Energie verbraten wird. Aber ich gebe zu, dass viele Architekten auch die Augen verschlossen haben. Nur wenige beschäftigen sich schon länger mit diesen Herausforderungen.

Hängt es damit zusammen, dass Architekten nur mit Solitärbauten berühmt werden?

Das stimmt für unser Büro nur bedingt, denn einige unserer bekanntesten Gebäude waren nachhaltige Pilotprojekte, die auch als solche gelten.

Sie haben das Ozeaneum in Stralsund gebaut, das nicht als besonders effizient gilt.

Ein Aquarium ist per se nicht energieeffizient. Das Ozeaneum kommt aber immerhin ohne Klimaanlage aus. In einem Aquarium muss man jedoch immer mit Riesenpumpen Wasser aufbereiten. Da hat die Effizienz Grenzen.

Können wir uns die großen allein stehenden Bauten noch leisten?

Es kommt darauf an, wie wir sie bautechnisch machen. Das geht schon. Aber schon weil wir einen Trend zur Reurbanisierung haben, wird der Geschosswohnungsbau zurückkommen. Immer mehr Menschen wollen in die Städte. Sie wollen wohnen, arbeiten, sich erholen, ihre Kinder erziehen, ohne dafür lange Wege zurücklegen zu müssen. Sie wollen im Quartier leben. Am effizientesten ist das Hochhaus mit 18 Geschossen. Alles, was höher geht, braucht schon wieder zu viele Fahrstühle, zu viel Infrastruktur, zu viel unsinnige Kernfläche.

Architekten wollen bauen, aber müssten sie nicht eher umbauen?

Die Bedürfnisse verändern sich, wir haben einen Zuwachs in der Bevölkerung. Und mehr Platzanspruch. Außerdem sind viele alte Bauten nicht mehr nutzbar. Also können und müssen wir weiter neu bauen. Aber natürlich müssen wir auch die vorhandenen Gebäude energieeffizienter, umweltgerechter, lebenswerter machen.

Wie?

Wir hatten hier in Stuttgart eine Anfrage von einer Bank. Die hat ein Gebäude, das von meinem Vater in den Sechzigerjahren gebaut wurde: vollklimatisiert, geschlossene Fassade. Sie kamen auf uns zu und sagten: Passt auf, wir wollen ein Gebäude, das ähnlich aussieht. Aber wir wollen keine Lüftung, keine Klimaanlage, gar nichts. Mancher Mitarbeiter klagt in vollklimatisierten Räumen über Kopfschmerzen. Kriegt Ihr das hin?

Und was haben Sie gesagt?

Das kann ich euch machen. Aber ich kann nicht garantieren, dass Euer Gebäude innen 26 Grad hat, wenn es draußen 35 sind.

Woher nehmen Sie Ihre Ideen?

Studieren Sie mal ein Schwarzwälder Bauernhaus. Der Dachüberstand verschattet die Fenster in der Fassade, damit die hohe Sonne im Sommer nicht so reinscheint. Das Wissen in Europa ist da. 80 Prozent sind gesunder Menschenverstand.

Und der Rest?

Für den Neubau des Instituts für Forst- und Naturforschung im niederländischen Wageningen haben wir zum Beispiel untersucht, wie die Oase in Arabien funktioniert. Die haben Wasser, Bäume, Schatten und immer einen leichten Wind. Also haben wir im inneren Atrium einen Teich mit Grün drum herum angelegt und für eine anständige Querlüftung gesorgt. Plötzlich hatten wir den Oaseneffekt.

Aber teurer?

Im Gegenteil. Man muss nur mehr gedankliche Energie investieren. In Bayern haben wir zum Beispiel geplant, mit einer Wäscherei einen Vertrag zu schließen, damit das Rathaus nebenan mit ihrer Abwärme gekühlt und beheizt werden kann.

Nehmen Sie Abstriche bei der Ästhetik in Kauf?

Wenn ich mit einem fetten Stift die geniale Skizze male, die sogenannte Stararchitektur mache, dann wird es schwierig. Denn dann muss ich nachträglich Kompromisse eingehen - für das Wohlbefinden der Nutzer. Aber wenn ich dies von vornherein bedenke, Architektur inhaltlich entwickle, dann begegnet mir das Problem nicht.

Wie sehen 2030 unsere Häuser aus?

Die Häuser werden je nach Jahreszeit, Wetter und Tageszeit unterschiedlich in Erscheinung treten. Wandlungsfähige Materialien und Konstruktionen werden Häuser ähnlich wie in der Natur adaptiv machen.

Reicht die neue Architektur oder werden wir unser Leben ändern müssen?

Wir werden vielleicht ein südlicheres Leben führen, eine längere Sommerpause haben. Und wir werden unseren Tagesrhythmus ändern, zum Beispiel um sechs in der Frühe anfangen zu arbeiten, dann vier Stunden Mittagspause machen und nachmittags nochmal drei oder vier Stunden arbeiten. Ähnlich wie in den mediterranen Ländern, weshalb auch nicht. Egal, wie gut und komfortabel unsere Häuser sind, im Freien sind wir nach wie vor der Natur ausgesetzt.

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