: Ganztag verändert Kultur
GANZTAGSSCHULEN Die Mercator-Stiftung hat die Auswirkungen der Ganztagsschule untersuchen lassen. Die Hälfte der kulturellen Angebote müssen die Eltern mitfinanzieren. Wo bleiben arme Kinder?
„MAPPING/KULTURELLE-BILDUNG“
AUS ESSEN URSULA MOMMSEN-HENNEBERGER
Die Ganztagsschule hat bei der kulturellen Bildung strukturelle Veränderungen zur Folge, die laut einer neuen Studie Bildungsträger vor große Herausforderungen stellen. Die außerschulische kulturelle Bildung werde „über Kooperationen immer stärker in den schulischen Alltag/Ganztag integriert und mit Schule vernetzt“, lautet ein Fazit der Studie „mapping/kulturelle-bildung“ der Mercator-Stiftung (Essen). Rein schulische und rein außerschulische kulturelle Bildungsmaßnahmen würden immer weniger.
Ob und in welchem Umfang Kinder und Jugendliche außerhalb von Schule Zugang zu kultureller Bildung haben, hänge vor allem vom Einkommen der Eltern ab, heißt es in der Studie, die bei einer gemeinsamen Tagung der Mercator-Stiftung und der Kultusministerkonferenz in Essen vorgestellt wurde. Etwa die Hälfte der Gesamtkosten solcher Aktivitäten – außerhalb der künstlerischen Schulfächer – werde über Familien mitfinanziert, wie Kursgebühren, Eintrittsgelder oder Materialkosten. Wenn nun häufiger außerschulische kulturelle Bildungsaktivitäten im schulischen Kontext erfolgen, stelle sich die Frage nach der Finanzierung für einkommensschwächere Familien.
Vier Länder untersucht
Für die Untersuchung hatte das private Zentrum für Kulturforschung (ZfKf/Sankt Augustin) im Auftrag der Mercator-Stiftung die kulturelle Bildungslandschaft in den vier Bundesländern Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg und Nordrhein-Westfalen unter die Lupe genommen. Ziel war auch, Kennziffern für eine bundesweite systematische Darstellung von kultureller Bildung zu ermitteln. Denn dazu gibt es bislang kaum Datenmaterial in Deutschland, wie auch der im Sommer vorgelegte „Bildungsbericht 2012“ beklagte.
„Will man die bestehende außerschulische kulturelle Bildungsstruktur langfristig in den Ganztagsunterricht überführen, muss der entsprechende Bildungsetat verdoppelt werden“, erklärte der Leiter des Kompetenzzentrums Bildung der Stiftung Mercator, Winfried Kneip. „Sonst verliert das kulturelle Bildungsangebot erheblich an Qualität.“ Kneip sagte aber zugleich: „Es ist unklar, wie viel Geld in die kulturelle Bildung, vor allem in den Ganztag, fließt und welche Zielgruppen tatsächlich erreicht werden. Nachhaltige kulturelle Bildungsgerechtigkeit ist so kaum erreichbar.“
„Es gibt ein breites Angebot, das Künstler, Kulturpädagogen und Bildungseinrichtungen im Umfeld von Schule präsentieren“, ergänzte die geschäftsführende Direktorin des ZfKf, Susanne Keuchel. „Allerdings gab es bislang keine geordneten Daten über die Reichweite der Angebote, die Strukturen oder die Kosten.“
Weiße Flecken
Überraschend viele „weiße“ Flecken auf der statistischen Landkarte gibt es den Forschern zufolge auch in der öffentlichen Finanzierung kultureller Bildungsangebote. Ein Grund sei deren ressortübergreifender Charakter und fehlende Abgrenzung, der Förderungen erschwere. Auch im formellen kulturellen Bildungsbereich bestünden erhebliche Lücken. So fehlten Daten zu Unterrichtsausfällen in den künstlerischen Fächern, zum Einsatz fachfremder Lehrkräfte und zu außerschulischen freiwilligen Aktivitäten wie Schultheater-AGs oder Schulchören. Ferner gebe es keine Übersichten zum Engagement der Kirchen oder auch des Rundfunks in der kulturellen Bildung.
Um hier Abhilfe zu schaffen, empfiehlt die Studie die Ermittlung von Kennziffern, so bezüglich der Nutzer, Anbieter, des Angebots und der Förderperspektive. Hinsichtlich eines künftigen allgemeinen Berichtswesens zur kulturellen Bildung im Kontext solcher Kennziffern schlagen die Autoren vor, dies zunächst auf Landesebene zu stärken. Laut Studie leisten die Bundesländern einen zentralen Beitrag zur kulturellen Bildungsinfrastruktur, allerdings mit zum Teil sehr unterschiedlichen Instrumentarien und Mitteln.
Stiftungen verpflichten
Mehr Transparenz könnte allein schon dadurch entstehen, indem Kultureinrichtungen, Träger des offenen Ganztags, Stiftungen und Ministerien jene Summen, die in den Bereich kulturelle Bildung fließen, explizit ausweisen. Ergänzend könnte eine Datenbank aufgebaut werden, in der jeder Förderer oder Akteur mit wenigen standardisierten Kennziffern seine Projekte kurz umschreibt, ähnlich dem Systematisierungsverfahren im Bibliothekswesen. Lassen sich Stiftungen dauerhaft zur Zahlung verpflichten? In der Finanzfrage mit Blick auf Kinder und Jugendliche aus einkommensschwächeren Familien will die Studie eine Diskussion darüber anstoßen, ob sich private Stiftungen „dauerhaft für die Finanzierung von kulturellen Bildungsangeboten im Ganztag verpflichten lassen“.
Ein weiteres Problem ist die Förderdauer der Kooperationsprojekte an den Schulen. Der Erhebung zufolge ist ein großer Teil (41 Prozent) der Bildungsmaßnahmen im Ganztag auf ein Jahr begrenzt. Für die Schulen bedeute dies, dass sie keine Planungssicherheit haben. Möglicherweise schrecke dies Schulen ab, die sich bisher noch nicht auf diesem Gebiet engagiert haben, gab Keuchel zu bedenken. Sie forderte ein Umdenken in der kulturellen Bildungspolitik – hin zu mehr langfristiger und nachhaltiger Politikgestaltung, auch bei den außerschulischen Partnern.
Einen weiteren Knackpunkt sehen die Autoren in der unterschiedlichen Bezahlung von Lehrkräften und Honorarkräften. Diese würden oftmals im Vergleich zu den Lehrern nicht adäquat bezahlt und hätten auch keine soziale Absicherung. Dies könnte zu „gefühlten“ Ungleichheiten und Störungen im schulischen Betriebsablauf führen, heißt es in der Studie.