Schwedische Wikileaks-Enthüllungen: Sechs Punkte gegen Filesharing
Die schwedische Staatsanwaltschaft weist den Vorwurf politischen Drucks durch die USA zurück. Von Wikileaks veröffentlichte Dokumente zeigen das Gegenteil.
STOCKHOLM taz | "Ich habe keinen europäischen Haftbefehl beantragt, um Julian Assange an die USA auszuliefern", beteuerte Marianne Ny, die schwedische Staatsanwältin, aufgrund deren Haftbefehls der Wikileaks-Gründer wenige Stunden vorher in London festgenommen worden war, am Dienstagabend auf einer Pressekonferenz. Und wies alle Vermutungen, politischer Druck könne das Vorgehen der Anklagebehörde beeinflusst haben, zurück: "Ich habe überhaupt keine Hinweise, dass es so etwas gegeben haben könnte."
Nur kurze Zeit später präsentierte die Nachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens SVT frische Wikileaks-Dokumente darüber, dass es Druck aus Washington auf die Innen- und Rechtspolitik Schwedens nicht nur gegeben hat, sondern dass solcher Druck offenbar auch durchaus erfolgreich gewesen war.
Aus einem dieser Dokumente, gesendet von der US-Botschaft in Stockholm, geht hervor, dass man der schwedischen Regierung im Jahre 2008 ein Papier mit sechs Punkten übermittelt habe, zu denen Washington ein Aktivwerden gegen Internetaktivitäten, speziell gegen illegales Filesharing wünschte.
Ein Jahr später – ein weiteres Cablegate-Dokument belegt das - erstattet die Botschaft Washington Rapport und rühmt die gute Zusammenarbeit mit Stockholm: Fünf der sechs Punkte seien wunschgemäß erledigt worden. So habe die schwedische Regierung ein Gesetz erlassen, das Internetprovider zur Deanonymisierung von IP-Adressen verpflichte. Polizei und Staatsanwaltschaft hätten außerdem zugesagt, intensiver im Bereich des illegalen Filesharings aktiv zu werden und es gebe Aufklärungskampagnen in den Schulen gegen Filesharing.
Wegen dieser "Erfolge" wird Washington auch abgeraten noch mehr Druck zu machen. Die US-Copyrightschutzorganisation IIPA forderte nämlich zu dieser Zeit von der US-Regierung Handelssanktionen gegen Schweden zu erlassen, weil von hier aus nach wie vor die Filesharing-Seite "Pirate Bay" aktiv war. So etwas könne kontraproduktiv sein, meint die Botschaft in Stockholm und warnt: Die neue Piratenpartei könne aufgrund einer solchen Massnahme nämlich an Zulauf und politischem Einfluss gewinnen.
Die Liste der US-Botschaft über von Schweden getroffene Massnahmen gegen Filesharing ist zwar korrekt, doch Justizministerin Beatrice Ask bestreitet in einem Interview, dass Stockholm auf Druck Washingtons gehandelt habe. Die Maßnahmen hätten auf eigenen Erwägungen der Regierung beruht. Wenn die Botschaft das als ihren Erfolg nach Washington melde, dann "übertreibt man die eigene Bedeutung" und die Verantwortlichen täten das "wohl vor allem deshalb, damit sie einen besseren Lohn bekommen". "Wen glaubst du eigentlich hereinlegen zu können, Ask?", kommentiert die Tageszeitung Aftonbladet bissig.
Beschwichtigungen wie denen der Justizministerin zu misstrauen scheint tatsächlich nicht unbegründet. Zumindest einer konkreten Aktion der schwedischen Polizei und Staatsanwaltschaft lag – aller ursprünglichen Dementis zum Trotz – nämlich zwischenzeitlich von beiden Seiten eingeräumter politischer Druck aus Washington zu Grunde.
Im April 2006 hatten die USA Schweden mit Handelssanktionen im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO gedroht, falls nicht die Aktivitäten von "Pirate Bay" gestoppt würden. Das schwedische Justizministerium forderte daraufhin Polizei und Staatsanwaltschaft auf, aktiv zu werden. Nachdem diese sich unter Hinweis auf die unklare Rechtslage und eine fehlende Gesetzesgrundlage zunächst weigerten, erhielten sie laut SVT-Quellen eine formale Anweisung dazu.
Am 31. Mai 2006 erfolgte dann die polizeiliche Razzia mit Beschlagnahme der Server von "Pirate Bay". Aufgrund dieser Aktion wurde eineinhalb Jahre später Anklage erhoben und das nach wie vor anhängige Gerichtsverfahren eingeleitet.
Die schwedische Öffentlichkeit wird seit eineinhalb Wochen mit täglich neuen Einzelheiten über die vertrauliche Zusammenarbeit zwischen Stockholm und Washington konfrontiert. Auf dem Umweg über einen Journalisten, der das Vertrauen von Wikileaks genießt, haben das Public-Service-Fernsehen SVT, sowie zwei stockholmer Tageszeitungen, das sozialdemokratische Aftonbladet und das konservative Svenska Dagbladet, exklusiven Zugriff auf noch nicht von Wikileaks im Internet veröffentlichte Cablegate-Dokumente erhalten. Die unter diesen Medien koordinierten Veröffentlichungen drehten sich bislang vorwiegend um geheime militärische und geheimdienstliche Zusammenarbeit.
Die oppositionelle schwedische Linkspartei sieht ernste Verfassungsverstöße, ist "extrem erschütternd" und fordert nun die Einrichtung einer "Wahrheitskommission". Und Aftonbladet kommentiert: "Niemand kann länger als 'Konspirationstheorien' abtun, dass Schweden von der anderen Seite des Atlantiks her gesteuert wird."
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