: Lola und die Lektüre
FILMKUNST Die Galerie Nolan Judin widmet sich in „Magnificent Obsession“ der Liebesaffäre zwischen Film und Literatur – der Künstler Matthias Brunner zeigt sie von den Brüdern Lumière über die Nouvelle Vague bis heute
VON BRIGITTE WERNEBURG
Sympathischerweise macht der Künstler Matthias Brunner kein Geheimnis daraus, welche Filme er in seiner Videoinstallation „Magnificent Obsession. The Love Affair Between Movies and Literature“ gegen- und aneinandermontiert hat. Brunner zeigt jeweils die Anfangstitel und den „End“-Abspann. Trotzdem ist die Begegnung mit der Vierkanal-Installation zunächst einmal ein vertracktes Rätselraten.
Die vier Leinwände haben in der großzügigen Ausstellungshalle der Galerie Nolan Judin, wo die Installation derzeit zu sehen ist, so viel Platz, dass man maximal zwei Leinwände auf einmal im Auge behalten kann. Dass man trotzdem ständig der Versuchung erliegt, alle Projektionen erfassen zu wollen, liegt daran, dass der Ton von jeweils einem der vier zeitgleich laufenden Filme deutlich hörbar ist.
Unwillkürlich lenkt man den Blick auf diese Leinwand mit dem Ton, selbst wenn man gerade noch eine andere Projektion betrachtet. Durch diese ständige Irritation habe ich Nathalie Woods Monolog über William Wordsworth’ Ode „Intimations of Immortality From Recollection of Early Childhood“ in Elia Kazans Film „Splendor in the Grass“ viermal gehört. Dabei wollte ich vor allem dahinterkommen, zu welchem Film die Szene gehört, in der ein sehr düster wirkender Man einer wie immer strahlenden Brigitte Bardot aus einem Buch vorliest. Sie stammt aus Jean-Luc Godards „Masculin – Feminin oder: Die Kinder von Marx und Coca-Cola“ (1966).
Nach sechsmaligem Ansehen des Loops kam ich dann dahinter. Aber es liegt nicht nur an den Filmmomenten, die einem bei ersten und zweiten Sehen entwischen, dass man „Magnificent Obsession“ immer wieder neugierig anschauen mag. Es liegt mehr noch an den Szenen, die man ohne weiteres mitverfolgt und in der eigenen Filmbibliothek im Kopf eingeordnet hat.
Man entdeckt die Szenen noch mal neu – aber nicht unbedingt nach der Vorgabe Brunners, also in Hinblick auf ein Liebesverhältnis zwischen Film und Literatur. Bei „Lannée dernière à Marienbad“ etwa sticht einem die Eleganz der Schwarzweißbilder von Alain Resnais mehr ins Auge als die Szene des Lesens selbst.
Die Verbindung von Film und Literatur ist fast so alt wie die Kinogeschichte selbst. Kinopionier Louis Jean Lumière drehte beispielsweise 1896 gleich mal eine „Faust“-Szene, die als die erste Literaturverfilmung gilt. Im Übrigen scheinen viele große Filme auf zweitklassiger Literatur zu basieren – umgekehrt ist die schlechte Verfilmung großer Literatur fast die Regel.
Die Literatur in den Nouvelle-Vague-Filmen
Interessant ist auch, dass dieVerbindung Film/Literatur ihre Konjunkturen hat. Und eine ihrer Hochzeiten hat es Brunner angetan: die Epoche der Nouvelle Vague. Eigentlich steht die Nouvelle Vague für den Autorenfilm, der sich mit eigenen Stoffen und Drehbüchern gegen das erzählerische Mainstreamkino in Stellung brachte. Damals wurden aber viele Bücher verfilmt und dabei gern Literatur, die selbst gegen die traditionellen Erzählweisen opponierte wie die von Alain Robbe-Grillet oder Marguerite Duras.
Dazu interessierte die Autorenfilmer der Nouvelle Vague die charakterbildende Wirkung des Lesens, natürlich keinen so sehr wie François Truffaut, dessen Werk angefangen von „Sie küssten und sie schlugen ihn“ (Les Quatre Cents Coups, 1959) bis hin zu „Fahrenheit 451“ eine einzige Hommage ans Lesen ist.
Spöttisch rückt der großartige Jacques Demy diese Funktion des Lesens in „Lola“ (1961) ins Bild, wenn sich eine sehr bürgerliche Dame beim Buchhändler über seine frivole Lektüreempfehlung beschwert, die sie tatsächlich sehr genossen hat, wie sie bei ihrem Auftritt nicht verbergen kann.
Parallel dazu läuft auf dem nächsten Screen „Lola Montez“ von Max Ophüls, dem Demy seine „Lola“ gewidmet hatte. Solche Querverbindungen bis in subtilste Details hinein sind bei Brunner ständig zu finden. Und darin wird nicht nur die Leidenschaft deutlich, die Matthias Brunner für das Kino hegt, sondern auch sein enormes Wissen. Der 1945 geborene Cineast und Künstler betreut seit fast 30 Jahren den Nachlass des großen frühen Hollywood-Regisseurs Douglas Sirk (auf dessen Film „Magnificent Obsession“ der Ausstellungstitel zurückgeht) und baute die Douglas Sirk-Stiftung auf.
Als langjähriger Filmkurator der Art Basel und ihrer Schwestermesse, der Art Basel Miami Beach, hat er zudem Erfahrungen mit den neuesten Trends des Kunstvideos. Was durchaus ein Grund sein mag, warum seine Arbeit trotz der raffinierten Montage so angenehm direkt und unverstellt auf ihr Ziel – uns für das Buch und den Film (als spezifische Medien) neu zu begeistern – zusteuert.
■ Bis 6. April, Nolan Judin, Potsdamer Str. 83, Di.–Sa. 11–18 Uhr