die wahrheit: Gejodelte Gewalt

Musikwissenschaft: Geheime Rückwärtsbotschaften in der Volksmusik.

Jahrelang wurde vonseiten der Kirche gewissen Arten von Rockmusik unterstellt, auf Tonträgern mysteriöse diabolische Botschaften zu verstecken, die allerdings nur dann zu hören seien, wenn man die entsprechende Stelle rückwärts abspielt. Hierzu war es üblich, die Musik auf eine Kassette oder ein Tonband aufzunehmen, das es dann - technisch nicht ganz ausgereift - mehr schlecht als recht rückwärts herunterzuspulen galt. Als vermeintliche Botschaft musste dann meist ein dem Rückwärtsabspielen des Bandes geschuldetes unkoordiniertes Rauschen und nicht genauer zu definierendes Murmeln herhalten, das aber ganz eindeutig besagte, dass etwa der Teufel ganz dufte und Gott nur eher so mittel sei.

Eine Gruppe hessischer Musikwissenschaftler hat jetzt eine Studie veröffentlicht, die besagt, dass die Verbreitung solcher Rückwärtsbotschaften einen ganz anderen Ursprung hat. Und wer sich schon immer gewundert hat, warum gerade volkstümliches Jodelgewinsel so willkürlich dahingesungen klingt, hat nun die Antwort. Die meisten Passagen sind als musikalisches Palindrom konzipiert, das heißt, sie sollen vorwärts genauso klingen wie rückwärts.

Nun ist es für einen halbwegs geübten Musiker nicht sonderlich schwierig, ein Musikstück zu komponieren, das vorwärts genauso klingt wie rückwärts, wie man an zahllosen aktuellen Popsongs in den Charts leider nur allzu gut hören kann, aber der Trick bei der Sache ist ja auch die unterschwellige Textbotschaft. Und die ist selbst bei vorwärts gejodelten Nummern oftmals nur schwer nachzuvollziehen. Ist daher die Botschaft überhaupt noch geheim, wenn man sie in identischer Form auch vorwärts hören kann? Die Hessen jedenfalls behaupten das, denn es sind auch vorwärts eher schwammige Nachrichten, die dem schwärmerisch heimatverbundenen Zuhörer vermittelt werden sollen. Botschaften, die sich selbst dem geübten Zuhörer nicht im Ohr, sondern vielmehr direkt im Unterbewusstsein festschrauben. So ist bei dem aus dem späten 18. Jahrhundert stammenden Jammerjodler "Die Liebe fleht: helfe bei Leid" die Botschaft tatsächlich vorwärts wie rückwärts identisch.

Doch nicht nur das Jodeln, auch musikalisch nachvollziehbarere volkstümliche Lieder sind von diesem Phänomen betroffen und verhelfen so der unterschwelligen Botschaft zu kleinstmöglicher Transparenz. So gilt etwa die alte Tiroler Volksweise "Erika feuert nur untreue Fakire" noch heute als Paradebeispiel für das wackere Ausgrenzen orientalischer Schlawiner.

Den größten diesbezüglichen Palindrom-Erfolg feierte aber ein heute weitgehend wieder in Vergessenheit geratenes Kirchenlied, das klerikalen Quellen zufolge vor etwa 150 Jahren direkt im Vatikan entstanden sein soll. Es behandelt unter Einbeziehung der meteorologischen Allmacht Gottes die bedingungslose Gleichstellung und Entschlossenheit der Menschen und lässt auch die vom Allmächtigen erstellte Tierwelt nicht außen vor: "Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie."

Doch auch andere Kirchenmusikideen wurden von der modernen Musikindustrie vereinnahmt, wie beispielsweise der aus dem frühen 19. Jahrhundert stammende Choral "Es gibt nur ein lieben Gott" zeigt. Die Melodie dieses Liedes erlangte später als "Guantanamera" Weltruhm und wurde vor einigen Jahren, wenn auch textlich leicht modifiziert, wieder der ursprünglichen Lob- und Preisintension zugeführt und war unter dem Titel "Es gibt nur ein Rudi Völler" ein drittes Mal in aller Munde.

Doch warum eigentlich Rückwärtsbotschaften, wenn sie auch vorwärts ein und dasselbe besagen? Immerhin haben Kirche und Volksmusik mit jeglicher Form von andersrum - zumindest vornerum - nicht ganz unerhebliche Probleme? Die Erklärung ist ebenso einleuchtend wie simpel. Weil es im Palindromius-Evangelium nun mal so geschrieben steht. Und die Kirchengeschichte hat seit Jahrhunderten bewiesen, dass kein Gedanke zu absurd ist, als dass sich nicht genügend Hornochsen finden, die versuchen, ihn anderen Menschen, und sei es mit Gewalt, volkstümlich aufzujodeln.

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kari

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