: Teufelskreis der Entwürdigung
betr.: „Warte nur, bis Papa kommt“, taz vom 18. 11. 05
„Wie soll man den Bälgern denn beikommen, wenn einem schon der harmlose Klaps verboten wird?“ Mit dieser Frage höre ich viele Eltern antworten – und sie offenbart das ganze Elend. Denn viele Eltern wissen nicht, was es bedeutet, Kinder zu haben, noch worin ihre Aufgabe liegt. Weder wissen sie, worauf sie sich einlassen, noch wie Erziehung funktioniert und funktionieren kann. Sie wollen besitzen, wollen herrschen statt dienen, sie verstehen nicht, dass es darum geht, Vorbild zu sein. Sie fordern Respekt, ohne bereit zu sein, Respekt entgegenzubringen. Sie sind unfähig zu Partnerschaft und zerstören das natürliche Vertrauen, die natürliche Liebe und den natürlichen Gehorsam der Kinder. Sie wissen nicht, wie sie ihre Kinder erreichen können, und verzweifeln schließlich an ihrer selbst gewählten Aufgabe. So sind sie zum Scheitern verurteilt und nehmen ihre Zuflucht zur Gewalt. Das Ergebnis ist nicht der Kreis der Liebe, sondern der Teufelskreis der Entwürdigung, Demütigung und Gewalt, der die Menschen unglücklich macht und letztlich die Gefängnisse und psychiatrischen Anstalten füllt. Das Verhalten der Eltern gegenüber ihren Kindern resultiert dann in deren Verhalten gegenüber ihren: abgestellt, aufbewahrt, allein gelassen. Man kompensiert durch Konsum, die Wirtschaft freut sich, die Erde geht kaputt.
Eine Gesellschaft, die nicht zu konstruktiver Erziehung erziehen kann, hat versagt. Es genügt nicht, Gewalt zu verbieten. Vielmehr muss das Wissen darum, wie man gewaltfrei erziehen kann, gesellschaftlich verankert und, am besten schon in Kindergarten und Schule, vermittelt werden. Friedensforschung und -erziehung tun Not, nicht nur makro-, auch mikrokosmisch, denn das eine ist das Resultat des anderen. Nicht nur die Wörter „Balg“, „beikommen“ und das beschönigende „Klaps“ offenbaren ja die ganz alltägliche, von Gewalt durchsetzte Gesinnung, sondern genau genommen schon der Begriff „Erziehung“. GERHARD RUDOLF, Bad Homburg
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