: 15 Minuten lang Stahlbeton
MAHNMAL Nicht die Geschichte selbst, sondern die Formen des Gedenkens hinterfragt Marcel Odenbach in in der Galerie Crone
Bei „Geschichte“, so stellte die Konstanzer Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann vor ein paar Jahren klar, handele es sich um eine Form „unsinnlicher Wahrnehmung“, mit deren Hilfe Menschen ihren Zeitradius über die jeweilige Gegenwart hinaus auf Abwesendes ausdehnen. Der fortschreitenden Anhäufung von Detailwissen bei den Historikern steht dabei die permanente Revision von Geschichtsbildern in den unterschiedlichen Medien gegenüber, die oft von anderen Motiven geprägt sein mag als der Suche nach einem objektiven oder wahrhaftigen Geschichtsbild. Zudem beeinflusst die Form der Präsentation das, was überliefert werden soll.
Assmann unterschied grob drei (sich freilich überschneidende) Grundformen historischer Präsentation: das Erzählen in Texten, das Ausstellen in Museen und die mediale und räumliche Inszenierung in Filmen und an historischen Orten. Dabei sieht sie im Film die schon jetzt dominante Form historischer Überlieferung: Ihm komme bei der Vergegenwärtigung von Geschichte „eine immer größere Bedeutung“ zu.
In Majdanek in Polen, am Ort eines Mahnmals für ein ehemaliges Konzentrationslager, entstand die jüngste Videoarbeit des Kölner Künstlers Marcel Odenbach. Folgt man dem Assmann’schen Medienraster, so handelt es sich dabei in erster Linie um eine filmische Inszenierung einer architektonischen Inszenierung von Geschichte. „Im Kreise drehen“ (2009) erscheint dabei als eine Art filmisches Denkmal für eine Mahnmalarchitektur: Einen Großteil des etwa viertelstündigen Video-Loops, der im hinteren, abgedunkelten Ausstellungsraum der Galerie Crone als Projektion gezeigt wird, fährt die Kamera in Nahaufnahme die raue Oberfläche aus Stahlbeton des kreisförmigen Memorials ab. In knappen Zwischentiteln werden in lexikalischer Manier die Eckdaten des Bauwerks eingeblendet: Etwa die Baukosten von 23 Millionen Złotys. Der Name des in Gdanks lebenden Bildhauers Wiktor Tolkin. Oder das Datum der Einweihung, der 21. September 1969, auf den Tag fünfundzwanzig Jahre nach der Befreiung des Lagers durch die Soldaten der Roten Armee im Sommer 1944.
Die Oberflächenhaptik der Kamerafahrt findet sich im Dialog zweier junger Männer wiederholt, die die monumentale Schale des Mausoleums, das die Krematoriumasche der Opfer birgt, umkreisen: „Überall dieser kalte Stein … dieser unfreundliche Beton!“, stellt einer der beiden fest, und der andere fragt gleich darauf: „Darf denn ein Mahnmal überhaupt gemütlich sein?“
Dabei wäre das wohl eher eine Nebenfrage, angesichts der beständigen Angriffe der Gegenwart auf die Vergangenheit, die immer wieder den prekären Status geschichtlichen Bewusstseins deutlich machen. Odenbachs Videoarbeit fragt danach, welche Funktion ein Mahnmal wie das von Majdanek im Prozess des Erinnerns heute einnimmt. Ist es selbst schon zum Dokument der Erinnerungskultur einer älteren Generation geworden, die längst die Diskurshoheit über die Überlieferung dessen verloren hat, was geschehen ist? Welche Formen braucht es heute, um das Andenken an die Opfer nationalsozialistischer Vernichtungspolitik wachzuhalten? Eine Antwort darauf liefert „Im Kreise drehen“ freilich nicht.
Doch dass das Gedenken an die Toten selbst heute nicht selbstverständlich ist, zeigt sich immer wieder, zuletzt etwa bei der Schändung der Gedenkstätte in Auschwitz durch den Diebstahl der Inschrift „Arbeit macht frei“ Mitte Dezember.
KITO NEDO
■ Bis 30. Januar, Galerie Crone, Rudi-Dutschke-Str. 26, Mo.–Fr. 10–18, Sa. 11–18 Uhr. (Die Galerie bleibt bis 4. Januar geschlossen)