: „Es gibt eine moralische Verantwortung“
Wenn am 10. Dezember die Welthandelsorganisation WTO in Hong Kong zusammen tritt, ist auch das Bonner Bündnis „Gerechtigkeit jetzt“ zur Stelle. Für die Aktivistin Nina Sachau sind die EU-Agrarsubventionen eines der großen Übel
taz: Frau Sachau, „Gerechtigkeit jetzt“ setzt sich in Hong Kong gegen weitere WTO-Handesliberalisierungen ein. Warum?
Nina Sachau: In Hong Kong steht für die Menschen in den Entwicklungsländern ganz viel auf dem Spiel. Zum Beispiel im Bereich der Liberalisierung der Landwirtschaft. Da wird über eine Regelung diskutiert, bei der die Zölle der Entwicklungsländer weit mehr gesenkt werden sollen als die der Industrieländer. Das bedeutet, dass Kleinbauern etwa aus Uganda mit der Agro-Industrie aus der EU konkurrieren müssen – was sie natürlich nicht können.
Immerhin hat die EU einen Abbau der Agrarsubventionen angeboten, was den Entwicklungsländern zugute käme.
Aber der Subventionsabbau soll erst 2017 in Kraft treten. Bis dahin sind viele Kleinbauern längst ruiniert durch die künstlich verbilligten Produkte aus der EU. Und die Millenniumsziele zu erreichen, also die Halbierung weltweiter Armut bis 2015, wäre mit dem Angebot der EU noch aussichtsloser. Unser Ziel ist daher, dass die EU-Subventionen spätestens 2010 beendet werden.
Die EU-Bauern werden davon nicht begeistert sein. Warum sollten sich die Menschen hierzulande gegen die WTO engagieren, wenn die WTO-Regeln für uns so vorteilhaft sind?
Einerseits denke ich, dass es eine moralische Verantwortung gibt, so etwas wie globale Solidarität. Andererseits betreffen uns die WTO-Regeln sehr direkt. Zum Beispiel darf es laut WTO für gentechnisch veränderte Produkte keine Handelsbarrieren geben. Die USA etwa können laut WTO gegen die EU Sanktionen verhängen, weil die EU sich weigert, gentechnisch veränderte Lebensmittel zu importieren. Das heißt, die WTO-Regeln erlauben keinen Verbraucherschutz. Ähnlich ist es beim Umweltschutz, denn bis jetzt geht WTO-Recht vor Umweltrecht und die WTO entscheidet im Zweifel für den Handel und nicht für die Umwelt. So dürfen die Staaten laut WTO keinen Unterschied machen zwischen umweltfreundlich produzierten und umweltschädlich produzierten Gütern. Damit lohnt es sich in der Konkurrenzsituation auf dem freien Markt aber nicht mehr, umweltfreundlich zu produzieren. Die ökologischen Auswirkungen dieser Politik werden uns hier langfristig natürlich ganz konkret betreffen.
Was kann nun der Einzelne tun? Für „uns“ verhandelt die EU-Kommission – und die kann man nicht abwählen.
Trotzdem können wir Druck auf die deutschen Minister ausüben, die in Hong Kong mit entscheiden. „Gerechtigkeit jetzt“ macht zum Beispiel eine Email-Aktion, bei der die Menschen die Minister anschreiben sollen. Und unsere Mitgliedsorganisationen organisieren Proteste zu ihren jeweiligen Themen: Die Gewerkschaften setzen auf die internationale Arbeitnehmersolidarität, die Bunte Jugend geht für die Umwelt auf die Straße. Letztlich sind solche Aktionen das einzige, das man tun kann.
Wie viel Aktivisten von hier fahren wohl nach Hong Kong?
Die „Hong Kong People‘s Alliance“, die die Proteste vor Ort organisiert, erwartet 20.000 bis 40.000 Aktivisten. Wie viele aus Deutschland und Europa kommen werden, wissen wird nicht. Aber bei der Hongkonger Polizei sprich man wohl schon von den „europäischen Barbaren“.
Wie schätzen Sie eigentlich die neue Bundesregierung in Sachen WTO ein?
Das kann man noch nicht sagen. Aber von der SPD ist nicht viel zu erwarten, denn in den letzten sieben Jahren hat sie stets für die WTO und die EU-Interessen gestimmt. Und bei den Christdemokraten spielt das Thema Welthandel nur da eine Rolle, wo es um den Schutz der deutschen Bauern geht. So stand es jedenfalls in deren Wahlprogramm. INTERVIEW: SUSANNE GANNOTT