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Archiv-Artikel

Die Architektur-Kritik 27.000 Quadratmeter Beton grandios losgelöst

Als mehrfüßiges Wundertier ist das Wolfsburger Phæno schon beschrieben worden, ferner als Ufo und als Raumschiff Orion, gelandet aus einer fernen Galaxie. Zu ungewohnt scheint den Erdlingen das Konzept des Bauwerks, dessen Hauptbaukörper, um rund sieben Meter vom Erdboden angehoben, über zehn windschiefen, auf den Kopf gestellten Kegelstümpfen, den so genannten Konen, thront. Ebensoviel berichtet wurde über die Technologie des selbst verdichtenden Betons zur Umsetzung dieser verwegenen Geometrie. Kein Wunder also, dass schon während der Bauzeit wahre Pilgerscharen nach Wolfsburg kamen, um das Mirakel der Architektin Zaha Hadid im Entstehen zu bestaunen.

Grandios und nicht nur für die Architekturgewohnheiten im beschaulichen Wolfsburg schier umwerfend ist zweifelsohne die Grundidee des Gebäudes, sich strikt eines Erdgeschosses zu verweigern. Statt dessen ist eine von den Konen punktuell besetzte und höhlenhaft überwölbte Landschaft entstanden, die exakt inszenierte Blick- und Wegebeziehungen zwischen dem Ende der Fußgängerzone, dem schmucklosen Bahnhof sowie dem VW-Areal mitsamt der AutoStadt einfängt und einen ungeahnten urbanen Raumfluss unter dem Gebäude generiert.

Zwar ist die Idee, ein Gebäude aufzuständern, nicht neu: Schon der Schweizer Architekt Le Corbusier postulierte sie um 1925 als eine Befreiung des Bauens aus den Zwängen konventioneller Gebäudetypologien. In Wolfsburg allerdings wird sie zu einem Raumereignis überhöht, das die eigentliche Sensation des Phæno werden könnte: Ein rund um die Uhr zugänglicher, recht großstädtischer und ruppiger Raum, tags etwas duster zugig, nachts in eine Lichtinstallation gehüllt. Gastronomie, Vortragssaal und Museumsshop in den Konen beleben diese artifizielle Stadtlandschaft. Vier der Konen gewähren den Aufstieg ins Innere zur Hauptebene, der Experimentierlandschaft.

Auf der Aktionsfläche angekommen, setzt sich der Raumcharakter fort. Nahtlos gehen Wände aus Stahlbeton über in die gespachtelte Dünenlandschaft des Fußbodens, einige der Konen durchbohren den Innenraum und tragen – eher theatralisch denn konstruktiv einsichtig – das immense Flächentragwerk der Dachebene, aus Stahl geschweißt, als Ganzes auf die tragende Betonkonstruktion abgesenkt. Den Besucher überkommt eine physische Beklemmung: Dieses Stahlgewitter erschlägt förmlich den ohnehin nicht sehr hohen Innenraum.

Der Bau, der so vollkommen ohne Schwerkraft daherschweben möchte, ist in Wirklichkeit ein konstruktiver Gewaltakt aus 27.000 Quadratmetern Beton, bewehrt von 5.000 Tonnen Stahl. Nichts ist leichtfüßig an dem Bauwerk, die vielen kleinen Fenster im Hauptbaukörper sind als spacige Dreingaben nur nette Gags: Der große Sichtschlitz zur Stadtseite wird ohnehin wohl abgedunkelt – aus Rücksicht auf das Ausstellungsgeschehen. Bettina Brosowsky