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Archiv-Artikel

Gemeinsam raus aus der Opferrolle

Heute ist Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen. Im Internet steht, wie alltäglich Gewalt an Mädchen ist

Von abe

Bremen taz ■ Seit sie auf dem Gymnasium ist, hat Lisou Stress: Erst waren es nur Hänseleien, dann hielt ihr ein Mitschüler ein Messer vors Gesicht. Und dann ist da noch der Lehrer, der sie angefasst hat. Jetzt hat Lisou nicht nur vor dem Lehrer Angst, sondern auch davor, dass ihre Peiniger in der Klasse von dem Übergriff erfahren.

„Du darfst dich nicht weiter in die Opferrolle begeben“, mahnt Isabel im routinierten Berater-Ton. „Lass dich nicht von solchen Idioten unterkriegen, dazu ist das Leben viel zu schön.“ Bei der Online-Beratung des Mädchenhauses Bremen helfen sich Mädchen gegenseitig. Seit einem Jahr gibt es das moderierte Forum, in dem jede von ihren Schwierigkeiten schreiben und auf Beiträge der anderen antworten kann. Rund 100 Besucherinnen täglich surfen auf den Seiten, 119 Mädchen diskutieren bisher aktiv mit. Hinter Nicknames wie Lisou und Isabel, Chaoskind und Gänseblümchen bleiben die Mädchen anonym.

„Mit dem Online-Angebot können wir ganz andere Mädchen erreichen als mit der normalen Beratung“, sagt Ruth König vom Mädchenhaus. „Jugendliche mit niedrigem Bildungsstand suchen selten von sich aus eine Beratungsstelle auf. Aber im Internet bewegen sie sich ganz selbstverständlich.“ Manche schämten sich so sehr für Essstörungen, Selbstverletzungen oder das dauernde Ausgegrenztsein, dass sie von Angesicht zu Angesicht nicht darüber sprechen wollten. Nach zwei bis drei gewechselten Mails aber ließen sich viele zu einem Gespräch bewegen. „Es muss nicht erst körperliche Gewalt geschehen, bevor eine Beratung hilfreich ist“, sagt König.

Die Beraterinnen lesen alle Beiträge vorab und entscheiden, ob sie im Netz erscheinen. Nur einmal hat Ruth König die voyeuristische Schilderung eines Übergriffs zurückgehalten, weil sie vermutete: Das hat ein sexuell gestörter Erwachsener geschrieben.

„Wir wollen mit dem Forum die Gewalt im Alltag offensichtlich machen“, erklärt Ruth König. Dass Erwachsene mitlesen und sich einen authentischen Einblick in das Leben Jugendlicher verschaffen, ist gewollt. „Ich staune selbst, wie verbreitet seelische und sexuelle Gewalt ist“, berichtet die Sozialpädagogin. „Was wir in der Beratung erfahren, ist nur die Spitze des Eisberges.“ abe

www.hilfe-fuer-maedchen.de