Physiker Henri Kowalski über das Universum: "Die AKWs sind nicht inhärent sicher"

Er wollte wissen, warum eine Wissenschaft wie der Marxismus scheitern kann - wie in Polen, das er 1967 wegen einer antisemitischen Kampagne verlassen musste. Deshalb ist der inzwischen in Hamburg lebende Henri Kowalski Physiker geworden. Derzeit ergründet er den Ursprung des Universums.

Hier wird die Struktur von Wasserstoff erforscht: Henri Kowalski im Teilchenbeschleuniger des Desy. Bild: Miguel Ferraz

taz: Herr Kowalski, Sie erforschen unter anderem den Ursprung des Universums. Was haben Sie gefunden?

Henri Kowalski: Dass unser Universum aus einem sehr symmetrischen Urzustand hervorgegangen sein muss, der mindestens zehn Dimensionen hatte. Alle Objekte und Kräfte fluktuierten dort und verwandelten sich ständig ineinander. Es gab also keine Struktur, wie wir sie kennen. Am ehesten ist dieser Zustand einem Vakuum vergleichbar.

Dem "Chaos" in der Bibel, aus dem Gott die Welt erschaffen haben soll.

Ja, vielleicht. In der Bibel ist ja von "Tohuwabohu" die Rede, einem unstrukturierten Zustand also. Das kommt unseren Forschungsergebnissen ziemlich nahe. Auch manche Mystiker dachten in diese Richtung.

Und wie entstand das Universum?

Aus einer plötzlichen Brechung dieser Symmetrie: Der Ur-Zustand muss sich extrem schnell abgekühlt haben, sodass sich die Objekte zu strukturieren begannen. Auf diese Art sind Raum, Zeit und Materie entstanden.

HENRI KOWALSKI 64, wurde in Paris geboren und lebte von 1950 bis 1967 in Warschau, bevor er nach Bonn ging und dort sein Physikstudium abschloss. Seit 1979 ist er als Hochenergie- und Teilchenphysiker beim Hamburger Desy (Deutsches Elektronen-Synchrotron) -Forschungszentrum tätig. Das schloss auch einen dreijährigen Gastaufenthalt im Genfer Kernforschungszentrum CERN sowie mehrere Gastprofessuren an der New Yorker Columbia University ein. Er lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Hamburg.

Gibt es andere Universen?

Das ist schwer zu sagen, denn wir können nicht nach außen kommunizieren. Das liegt in der Natur der physikalischen Gesetze, denen wir hier unterliegen. Es gibt allerdings eine ernst zu nehmende physikalische Theorie, die besagt, dass mit dem erwähnten Zusammenbruch der Symmetrie etliche Universen entstanden. Manche vermuten, dass es irgendwo "Wurmlöcher" geben könnte, durch die wir Kontakt aufnehmen könnten. Aber das müssen kommende Generationen erforschen.

Woher wissen Sie das alles?

Wir - die Physiker im Hamburger Desy-, im Genfer Cern-Forschungszentrum und anderswo - experimentieren seit über 30 Jahren mit Grundkräften der Physik: der elektromagnetischen, der schwachen und der starken Wechselwirkung. Dabei haben wir herausgefunden, dass sich elektromagnetische und schwache Wechselwirkung bei hoher Energiezufuhr vereinen. Die starke Wechselwirkung hat eine ähnliche Struktur. Die Gravitation dagegen lässt sich noch nicht ganz in dieses Schema integrieren. Die große Ähnlichkeit dieser Wechselwirkungen gilt aber als Hinweis darauf, dass es einen Urzustand gab, aus dem diese Kräfte hervorgegangen sind.

Sie haben auch die Kernkraft erforscht. Was ist da noch offen? AKWs gibt es schließlich seit 60 Jahren.

Ja, und sie funktionieren ja auch. Aber eigentlich versteht man nicht alles von dem, was da passiert.

Nämlich?

Man initiiert in den AKWs eine Kettenreaktion, in der Neutronen auf Urankerne geschossen werden. Die Kerne brechen dann auseinander und zerfallen. Hierdurch entstehen Energie und neue Neutronen, die den nächsten Urankern zerfallen lassen und so weiter. Infolge dieser Kettenreaktion entsteht nuklearer Abfall, der sich schwer beseitigen lässt. Außerdem hat man extrem wenig Zeit, diese Kettenreaktion zu stoppen, wenn etwas schief laufen sollte. Die AKWs sind zwar sicher, aber nicht inhärent sicher.

Gibt es Alternativen?

Ja. Schon seit 20 Jahren ist bekannt, dass man auch Neutronen von draußen einschießen könnte, anstatt eine Kettenreaktion auszulösen. Dann entstünde wesentlich weniger nuklearer Abfall. Außerdem könnte man den Vorgang bei Problemen innerhalb einer Millisekunde stoppen.

Warum wird die absolut sichere Variante nicht angewandt?

Vor allem wohl, weil bislang das wirtschaftliche und politische Interesse fehlte. Schon Anfang der Neunziger Jahre hat der Physik-Nobelpreisträger Carlo Rubbia ein entsprechendes Forschungsprogramm vorgeschlagen. Es wurde aber nicht verwirklicht. Inzwischen ist das Interesse wieder größer, weil das Bewusstsein für das Energieproblem wächst: Derzeit werden größere Forschungsprojekte geplant.

Warum sind Sie eigentlich Physiker geworden?

Aus politischen Gründen: Ich war mit dem Marxismus - einer explizit wissenschaftlichen Philosophie - aufgewachsen und wollte wissen, was das eigentlich ist: Wissenschaft.

Sie wurden kommunistisch erzogen?

Ja. Meine Eltern waren Kommunisten. Mein Vater hat vor dem Zweiten Weltkrieg als Journalist in Frankreich gearbeitet und war später in der Résistance, um Judenverfolgungen zu vereiteln. 1950 wurde er allerdings ausgewiesen, weil er als Pole die französische Staatsangehörigkeit nicht annehmen wollte und zudem für den Kommunismus agitierte. Er zog daraufhin nach Polen, weil er - wie meine Mutter - glaubte, dass dort eine neue Gesellschaft entstehen könnte.

Wie lange glaubten sie das?

Bis zum 25. Februar 1956. Da hielt Chruschtschow beim 20. Parteitag der KPdSU seine berühmte Geheimrede, in der er die Verbrechen Stalins - die Millionen Ermordeten, die Gulags und all das - offenlegte. Für meine Eltern war das ein absoluter Schock: Sie glaubten ja einer Idee zu dienen, die der Menschheit Gutes brächte. Und plötzlich gab es Massenmord und Verbrechen - alles im Namen eines Systems, das glaubte, objektive Gesetze der Geschichte zu kennen. Das war ein enormes Dilemma. Meine Antwort darauf war, Wissenschaftler werden.

Waren Sie je politisch aktiv?

Ja. Als Jugendlicher habe ich 1961 gemeinsam mit Freunden, die mit dem Regime unzufrieden waren, in Warschau einen Klub gegründet. Die Regierung nannte uns "Klub der Krabbelnden Revisionisten" und nahm uns lange Zeit nicht ernst, sodass wir ungehindert wirken konnten. Erst 1963 hat Parteichef Gomulka den Klub aufgelöst, weil er ihm zu renitent erschien.

Was tat der Klub?

Er war ein Diskussions- und Gesprächskreis, zu dem wir im Laufe der Jahre die gesamte oppositionelle intellektuelle Prominenz einluden. Hauptorganisator des Klubs war der inzwischen renommierte Politiker und Chefredakteur Adam Michnik, der - neben anderen aus unserem Klub - nach dem Zusammenbruch des Sozialismus 1989 mit am Runden Tisch saß. Unser Klub hat sicherlich mit zu den Unruhen 1968 beigetragen. Da lebte ich aber nicht mehr in Polen, sondern in Deutschland.

Warum?

Es war ziemlich eindeutig, dass das Regime versuchte, ein politische Kampagne zu machen, die sehr stark von Antisemitismus durchsetzt war. Und da mein Vater Polit-Profi war - er war damals Korrespondent der offiziellen sozialistischen Tageszeitung Trybuna Ludu in Bonn - hat er schnell verstanden, dass das für uns als Juden gefährlich werden könnte. Deshalb haben wir beide Polen 1967 verlassen. Meine Mutter war schon 1965 verstorben.

War seine Angst berechtigt?

Ich dachte damals, er übertreibt, er war doch nur ein semi-prominenter Mann. Andererseits war er derjenige, der - quasi als außenpolitischer Sprecher der Regierung - 1966 gemeinsam mit Willy Brandt und Helmut Schmidt die Annäherung an Polen in die Wege geleitet hat.

Wohin ging er?

Nach Israel. Er hielt es für das einzige Land, in das er fliehen konnte. In Deutschland fürchtete er vom polnischen Geheimdienst aufgespürt zu werden. Und wenn Sie bedenken, dass nach 1989 bekannt wurde, dass Fußballtrainer und andere Ex-Prominente der DDR im Westen umgebracht wurden, ist das nicht von der Hand zu weisen.

Ist Ihr Vater in Israel glücklich geworden?

Nicht ganz, denn er war kein Zionist. Ein paar Jahre hat er als Redakteur einer polnischen Zeitung gearbeitet. Später ist er nach Kalifornien gezogen. Dort wurde er als "Mann der Geschichte" oft zu Veranstaltungen eingeladen und hat seine letzten Lebensjahre relativ glücklich verbracht.

Sind Sie jüdisch erzogen worden?

Nein. Meine Eltern waren als Kommunisten stolz darauf, keine Religion zu haben. Ich wurde aber als Zehnjähriger von zwei Onkeln, die als fast einzige unserer Familie den Holocaust überlebt haben, nach Israel eingeladen. Sie haben mich mit jüdischen Traditionen vertraut gemacht.

Sind Sie religiös?

Nicht im engeren Sinne. Ich bin ein säkularer Mensch. Gemeinsam mit meiner Frau und meinen drei Kindern feiere ich das Seder- und das Jom- Kippur-Fest. Mehr aber auch nicht.

Hatten Sie schon 1967 vor, dauerhaft in Deutschland zu leben?

So explizit nicht. Allerdings waren meine Eltern nicht antideutsch eingestellt. Sie sprachen sehr gut deutsch und sahen, dass Deutschland eine phantastische Kultur hat, während der Nazi-Zeit aber total fehlgeleitet worden war. Auch ich halte das Denken in nationalen Stereotypen für falsch. Deshalb dachte ich, ich gebe Deutschland eine Chance. Und ich denke, es war eine gute Entscheidung.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.