Aus der Literataz: "Die Karte und das Gebiet": Habgier ist der Welten Lohn

Michel Houellebecqs Nihilismus schlägt diesmal in der Kulturschickeria zu. Der Autor entdeckt, dass nur im Tod der wahre Frieden verborgen liegt.

"Dann wird alles ruhig, und zurück bleiben nur sich im Wind wiegende Gräser." Bild: DWerner/photocase.com

Warum lässt sich Jeff Koons so schwer malen? Diese Frage plagt Jed Martin. Das Porträt "Jeff Koons und Damien Hirsh teilen den Kunstmarkt unter sich auf" missrät ihm, irgendwann hat er auch genügend Whiskey getrunken, um es endlich zu vernichten. Ein Sujetwechsel muss her, und der Zufall spült ihm die Begegnung mit Michel Houellebecq in seinen weitgehend menschenleeren Alltag. Der nach Irland geflohene, dauerhaft von teuerstem Rotwein betäubte und vorzugsweise Wurst essende Großschriftsteller wird zu seinem neuen Kunstobjekt.

Dieser Kniff in dem erwartbar nihilistischen neuen Roman von Michel Houellebecq ist unterhaltsam. Seinen Humor hat er nicht verloren. Wohl aber seine Bissigkeit. Entsprechend plätschert die Geschichte vom depressiven Maler, der dem depressiven Schriftsteller begegnet, so dahin. Die beiden Männer mögen sich, denn mehr oder weniger wortlos kommen sie überein, dass der Kunstbetrieb sie beide prima ernährt, weil sie genauso leer sind wie er und alle anderen, die er füttert. So weit, so belanglos.

Trotzdem rastert "Die Karte und das Gebiet" die Welt der Pariser Kulturschickeria über 400 Seiten lang mit dem bereits auf den ersten Seiten erklärten Ziel, davon zu erzählen, dass es nichts Interessantes zu erzählen gibt. Denn alles drehe sich ums Geld, mehr Inhalt sei nicht aufzutreiben. Und heutzutage gebe sich selbst der Kulturbetrieb keine Mühe mehr, sich etwas vorzumachen, und gebe sich stattdessen offen dem Verzehr von Delikatessen hin. Und die Kritiker lesen sowieso alles, hat man erst mal einen Namen. Gegen die Journaille findet sich noch der ein oder andere Seitenhieb.

Der schlussendliche Mord an dem "Autor von Elementarteilchen", wie Houellebecq sich in seinem Roman unter anderem nennt, ist selbstredend auch von Habgier motiviert. Das Porträt des alten Mannes, der in seiner Zurückgezogenheit "einer Schildkröte" ähnelt, hat einen Marktpreis von zwölf Millionen, das kann sich selbst der perverseste Schönheitschirurg nicht leisten, also schlachtet er den weltabgewandten Besitzer kunstvoll ab.

"Die Vegetation trägt den endgültigen Sieg davon"

Weitere Informationen, Podcasts und Videos zum Auftritt der taz auf der Leipziger Buchmesse finden Sie unter www.taz.de/buchmesse.

Die Aufklärung des Mordes übernimmt der Zufall, in dem Houellebecq'schen Universum nehmen Menschen keinen Einfluss auf die Dinge - was die abgeklärten Künstler begriffen haben, während sich die im Kunstservice tätigen Damen noch eilfertig von der existenziellen Leere des Lebens unter kapitalistischen Bedingungen ablenken.

Houellebecq streift in seinem fünften Roman alle Themen seiner früheren Bücher - und verabschiedet sie leise. Die absurde, bunte Warenwelt, über die auch der beste Sex(tourismus) nicht hinwegtrösten kann. Die sich alle ähnelnden Männerfiguren - der Klon war schon in "Elementarteilchen" wichtig - sind wie gehabt unfähig, sich in der Welt zu verankern; aber inzwischen fehlt ihnen jeder Furor über ihr schäbiges, wenngleich finanziell erfolgreiches Leben. Milde wickeln sie sich selbst ab.

Hübsche Frauen lieben aus unerklärten Gründen die desillusionierten Männer, auch das ist nichts Neues, und es hilft nicht. Übrig bleiben der indische Mobilfunkanbieter, die sich uneinsichtig an die Arbeit klammernden, aber immerhin wohlproportionierten Frauen und vor allem die Pflanzenwelt: "Dann wird alles ruhig, und zurück bleiben nur sich im Wind wiegende Gräser. Die Vegetation trägt den endgültigen Sieg davon." Das ist der letzte Satz.

War das große, provozierende Thema der ersten Romane von Michel Houellebecq die männliche Depression und öffnete der genüsslich ausgebreitete Hass auf die sexuell befreite Frau die Herzen von Millionen Lesern in der ganzen Welt, so will "Karte und Gebiet" den Zeitgeist mit der doch recht zeitlosen Botschaft einfangen, dass Frieden nur im Tod zu haben ist und der vor Geld starrende Kulturbetrieb der Metropolen grosso modo nichts als untote Kritiker animiert.

Freut sich ein offenkundig vom Altern genervter Künstler daran, Kunstkritiker mit der Aneinanderreihung von Binsenwahrheiten erfolgreich ihre Zeit zu stehlen, dann kann man den alten Sack getrost der Pflanzenwelt überlassen. Dass Houellebecq aber just für diesen so durchsichtigen wie gnadenlos eitlen Roman den Prix Goncourt, den (mit 10 Euro dotierten) wichtigsten literarischen Preis Frankreichs erhalten hat, ist allerdings hübsch. Es zeigt, dass noch die banalste Kritik ins Schwarze des Betriebs treffen kann. Aber wen interessiert das schon?

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.