Zensur in der Türkei: Zündstoff aus Papier
Ein Buch über die mächtige Gülen-Sekte macht die Türkei nervös. Sonderstaatsanwälte ermitteln. Der Buchautor, der investigative Journalist Ahmet Sik, sitzt in Haft.

Mit dem Fall Ahmet Sik und seinem Buch "Armee des Imams" haben AKP-Regierung und Sonderjustiz jetzt wütende Proteste im ganzen Land ausgelöst. Bild: dapd
ISTANBUL taz | Der Fall ist selbst für türkische Verhältnisse beispiellos: Seit Tagen fahnden Sonderstaatsanwälte und ganze Polizeieinheiten nach einem Buch, das es noch gar nicht gibt. Ein noch unveröffentlichtes Manuskript zu verbieten, den Besitz unter Strafe zu stellen und Druckereien und Buchläden schon einmal präventiv massive Strafen anzudrohen, falls sie auf die Idee kommen sollten, das Manuskript tatsächlich zu veröffentlichen, das, so Ragip Zakarolu, Verleger und altgedienter Kämpe für Meinungsfreiheit, "hat es in der Türkei noch nicht einmal nach dem Putsch 1980 gegeben".
In der letzten Woche führte die Sonderstaatsanwaltschaft, die seit 2007 gegen tatsächliche oder vermeintliche Putschisten und Umstürzler ermittelt, Razzien in der renommierten Tageszeitung Radikal, in Anwaltsbüros und bei verschiedenen Journalisten in deren Wohnungen durch, um Computer und Festplatten zu filzen, auf denen womöglich eine Kopie des inkriminierten Manuskripts zu finden sein könnte.
Bei dem "gefährlichsten Buch des Landes" handelt es sich aber nicht um Anleitungen zum Bombenbau oder andere Tipps für Terroristen, sondern um eine journalistische Recherche über die derzeit einflussreichste islamische Sekte des Landes, der Gülen-Bewegung, deren Chef Fetullah Gülen in den USA lebt. Das Manuskript mit dem Titel "Die Armee des Imam" beschreibt nach Angaben von Freunden des Autors, die die Gelegenheit hatten es zu lesen, bevor es konfisziert wurde, wie die Sekte schrittweise die türkische Polizei und Justiz unterwandert.
Autor des Buchs ist der bekannte investigative Journalist Ahmet Sik, der vor drei Wochen zusammen mit seinem Kollegen Nedim Sener - der ebenfalls ein Buch über die Gülen-Bewegung veröffentlicht hatte - unter dem Vorwand verhaftet wurde, er sei Mitglied der nationalistischen Terrororganisation Ergenekon. Ergenekon ist jene mythische Organisation, die sich zum Sturz der Regierung verschworen haben und schon in den 80er und 90er Jahren hinter den Kulissen die eigentlichen Drahtzieher der türkischen Republik gewesen sein soll.
"Armee des Imams"
Obwohl auch die meisten Regierungskritiker davon ausgehen, dass es durchaus einen harten Kern von Putschisten gibt, wird der Vorwurf, Mitglied oder Unterstützer von Ergenekon zu sein, immer inflationärer gehandhabt. Vor allem regierungskritische Journalisten wurden immer häufiger unter diesem Vorwurf inhaftiert, jetzt soll schon die Kenntnis eines unveröffentlichten Manuskripts Werbung für eine Terrororganisation sein.
Doch mit dem Fall Ahmet Sik und seinem Buch "Armee des Imams" haben AKP-Regierung und Sonderjustiz jetzt wütende Proteste im ganzen Land ausgelöst. Eine Plattform für Presse- und Meinungsfreiheit ruft regelmäßig zu Demonstrationen auf. Auf einer Website, die dazu aufruft, sich zu dem Besitz des Buchs zu bekennen, haben sich bereits 50.000 Menschen registrieren lassen. Ehemals überzeugte liberale Unterstützer von Ministerpräsident Erdogan sind entsetzt, wie demokratische Rechte immer mehr mit Füßen getreten werden.
Auch die Kritik aus dem Ausland wird lauter. Angefangen von internationalen Journalisten und Menschenrechtsorganisationen bis hin zum Erweiterungskommissar der EU und dem US-Botschafter in Ankara, wird die Verletzung von Meinungs- und Pressefreiheit mittlerweile scharf kritisiert. Selbst der türkische Präsident Abdullah Gül sah sich genötigt, seine Besorgnis darüber zu äußern, wenn er sich auch nicht verkneifen konnte, darauf hinzuweisen, dass diese Debatte dem Buch sicher zu einem großen kommerziellen Erfolg verhelfen wird.
Nur Ministerpräsident Tayyip Erdogan ist von der Kritik völlig unbeeindruckt. "Die EU soll sich an ihre eigene Nase fassen", sagte er auf dem Weg in den Irak, "wir setzen unseren Weg zu unserer Demokratie weiter fort."
Leser*innenkommentare
Enno
Gast
Leider entfernt sich auch unser land immer mehr von der Meinungsfreiheit. Auch hier wird man für gewisse Behauptungen bestraft. Die Einschränkung der Meinungsfreiheit und der Bürgerrechte schreitet immer weiter voran. Langsam dämmert es mir auch bei den Worten, niemand hätte Anspruch auf eine lebenslange Demokratie. Informierte Leute werden wissen welche hochrangige Person das so gesagt hat.
Überprüft euch doch mal selbst alle, die ihr in Foren schreibt. Beschleicht euch nicht auch beim Schreiben einiger Beiträge das komische Gefühl etwas in diesem Land verbotenes geschrieben zu haben obwohl es doch eigentlich recht harmlos war. Die Gefahtr der Überwachung und Zensur lauert fast unbemerkt überall. Die Bestimmungen der EU werden es schon richten. Lauter helle Köpfe sind dort tätig also sorgt euch nicht.
exgutmensch
Gast
Onkel Erdokahn findet das Buch nicht hilfreich. Das spricht für es.
Keyser Söze
Gast
Der wahre Kern dieser Angelegenheit wird in dem Artikel nicht erwähnt. Nämlich, dass große Teile des Buches nicht von besagtem Journalisten stammen sollen und dass es bei den Teilen, die er geschrieben hat, handschriftliche Notizen gab, die nicht von ihm stammen und in der 2. Person geschrieben sind (z.B. "das solltest Du noch einmal überprüfen" etc.).
Der Vorwurf, der ihm gemacht wird, ist, dass er mit diesem ganz offensichtlich auf Bestellung verfassten Buch den Ergenekon-Prozess verunglimpfen möchte und damit den Putschisten in die Hände spielt.
Stamboul
Gast
@Martin
So leicht ist das ganze nicht. Wenn es nur um verbotene Bücher geht, würde man sicher darüber hinwegsehen. Hier geht es aber um ein System. Diese Methoden haben alle System und werden seit 2006 fleißig praktiziert. Es werden Journalisten verhaftet, ermordet und somit Mundtot gemacht. Die Türkei hat eine demokratische Scheinfassade, aber die hässliche Fratze ist ein Gebilde aus Korruption, Vetternwirtschaft, Machtkämpfe zwischen Militär und der Regierung. Wahlen der höchsten Richter in Ankara haben auch Einfluss auf solche Konflikte. Die Thematik um die Türkei herum ist sehr komplex und vielschichtig. Wie man sieht, werden liberale Journalisten verfolgt. Jeder der sich selbst als libertär betrachtet, sollte sich fragen ob er hier protestieren will. Ich sage ja, denn meine Familie lebt in der Türkei und ich habe keine Lust, dass diese auf Grund einer anderen Meinung selbst Opfer werden.
MfG
martinGER
Gast
Nur weil ein Buch verboten wird, wird wieder unter uns Deutschen Hetze betrieben die mich wieder verschämt.
Auch in Deutschland gibt es Bücher die verboten sind und nur zu Forschungszwecken (da historisches Material) verwendet werden dürfen. Aber hey, hauptsache wir bashen mal wieder die islamisch geprägte Türkei aber nicht das christlich geprägte Ungarn für ihre Pressezensur.
Ich schäme mich für unser Volk. Ich seh die Bücher in Berlin schon brennen.
Experte
Gast
Dieser Erdogan ist ein wg. islamischer Volksverhetzung vorbestrafter Rechtsextremist. Was will man von dem erwarten?
GROTESK ist, daß hierzulande sog. "Linke" den Koranschüler (= "Taliban") Erdogan hofieren, während er in der Türkei bei allen liberalen Türken UND TÜRKINNEN verhaßt ist, wie mir (laizistische) türkischstämmige Freunde bestätigen.
Dieser AKP-Führer ist nach türkischen Maßstäben ein Verfassungsfeind, der die Ideen des Staatsgründers untergräbt.
"Seit über fünf Jahrhunderten haben die Regeln und Theorien eines alten Araberscheichs und die unsinnigen Auslegungen von Generationen schmutziger und unwissender Pfaffen in der Türkei (bzw. Osmanisches Reich) sämtliche Einzelheiten des Zivil- und Strafrechts festgelegt.
Sie haben die Form der Verfassung, die geringsten Handlungen und Gesten im Leben eines jeden Bürgers festgesetzt, seine Nahrung, die Stunden für Wachen und Schlafen, den Schnitt seiner Kleidung, was er in der Schule lernt, seine Sitten und Gewohnheiten und selbst die intimsten Gedanken.
Der Islam, diese absurde Gotteslehre eines unmoralischen Beduinen, ist ein verwesender Kadaver, der unser Leben vergiftet.
Er ist nichts anderes als eine entwürdigende und tote Sache.
Die Bevölkerung der türkischen Republik, die Anspruch darauf erhebt, zivilisiert zu sein, muss ihre Zivilisation beweisen, durch ihre Ideen, ihre Mentalität, durch ihr Familienleben und ihre Lebensweise."
- Mustafa Kemal "Atatürk"
Samuel
Gast
Türkei ist keine Demokratie - Deutschland ist eine Demokratie - und jetzt bitte alle A, B, C, D, E, F, G ... bis wir es auswendig können.
Es gibt keine Demokratie auf der Erde, wo die Pressefreiheit so GROSS geschrieben wird, wie die in Deutschland! Ich lese jeden Morgen die Highlights von min. 10 verschiedenen Zeitungen und alle sind so was von ähnlich, daß man das Gefühl hat das die Nachrichten von einem Zentralen stelle verteilt wird?? Geht es um Auslandpolitik sind alle Medien pro Regierung - geht es um Innenpolitik dann sieht es einwenig anders aus.
Meine Empfehlung ließt kein Auslandsnachrichten bzw. Nachrichten im Zusammenhang mit Ausländern - weil es inhaltlich nur darum geht die Ziele der deutschen Regierung umzusetzen. Ich verfolge es seit 35 Jahren und kann nur an alle appellieren ließt, wenn ihr könnt, zum Vergleich Nachrichten zum gleichen Thema in anderen ausländische Medien wie England, Italien ... Ihr wird den Unterschied sofort erkennen. Wohlmöglich wird meine Kommentar nicht ausgestrahlt weil.... ciao
james
Gast
Die Türkei ist weitgehend Demokratischer und Rechtsstaatlicher als die meisten EU-Länder... und vor allem sie sind nicht pleite im Gegensatz zu den meisten EU-Ländern :-)
Euroskeptiker
Gast
Was muss denn eigentlich noch passieren, damit die Verhandlungen mit diesem unsäglichen Land abgebrochen werden, eigentlich sind laut den "Kopenhagener Kriterien" Demokratie, Einhaltung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit Voraussetzungen für die Aufnahme der Verhandlungen.
Die Türkei hat bis heute kein einziges der Kriterium erfüllt, es gibt rechtlich gesehen keine Grundlage für Gespräche um die Aufnahme in die EU.
Alexander Eisele
Gast
Selbstverständlich ist die Türkei auf dem Papier - aber eben nur auf dem Papier - ein demokratisches Land. Der türkische Ministerpräsident, welcher nach einem Gerichtsurteil eigentlich gar keine Politik mehr machen dürfte (übrigens auf Lebenszeit) hat folgenden Satz des Dichters Ziya Gökalp geprägt:
Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.
Das er es mit seiner jetzigen Politik genau so hält, zeigen folgende Beobachtungen, die in vollem Umfang seiner Ideologie entsprechen:
Die Palästinenserbewegung Hamas aus dem
Gazastreifen wird von Erdoğan nicht als
Terrorgruppe eingestuft.
Erdogan werden offene Sympathien zum Dschihad
und zur Einführung der Scharia vorgeworfen,
was dem staatlichen Grundprinzip des Laizismus
diametral widerspricht.
Bis heute landet man - auf ausdrückliches Geheiß
von Erdogan - im Gefängnis, wenn man den
Völkermord an den Armeniern nur als solchen
benennt.
Die guten Signale aus der Türkei in Richtung Demokratie, waren selbst unter der militärischen
Führung in der Türkei, deutlich besser hörbar, als dies gegenwärtig unter Erdogan und seiner schleimende AKP ist.
Alexander W. Eisele Fürth Deutschland
sisyphos
Gast
Was!?
Die Türkei ist kein demokratisches, rechtsstaatliches Land!?
Wer hätte das gedacht!