Sozialwahl 2011: Was er wählt, das weiß kein Wähler

Die Verwaltungsräte der Krankenversicherungen werden in einer Wahl bestimmt, bei der zumal geheim bleibt, wer was will

Sozialwahl? Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) schwört drauf - wegen der Mitbestimmung. Bild: dpa

BREMEN taz | Momentan tourt der Bundeswahlbeauftragte für die Sozialversicherungswahlen 2011, Gerald Weiß, durchs Land. Am Freitag war er in Bremen, vergangene Woche in Hannover, demnächst ist Ostfriesland dran: Er hofft, sagt er, dass die Beteiligung steigt. Vor sechs Jahren lag sie bei schlappen 30,8 Prozent.

Dabei geht's richtig um was, um Milliarden Euro: Die Sozialwahl entscheidet, wer im Verwaltungsrat der gesetzlichen Krankenkassen deren Haushalt genehmigt und den Vorstand kontrolliert. Das sind machtvolle Gremien. Vielleicht ist die Sozialwahl deshalb so wie sie ist: Vollendet intransparent.

Denn wofür die Kandidierenden stehen, welche Leistungen sie durchsetzen wollen, bleibt den Wählenden verborgen. Allenfalls ahnen können sie zudem, welcher Liste es hilft, wenn sie eine Liste wählen. Denn die sind multipel miteinander verflochten. So bilden bei der Wahl für den Verwaltungsrat der Deutschen Rentenversicherung (DRV) die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung, Kolpingwerk und der Bundesverband Evangelischer Arbeitnehmerorganisationen die Liste 5. Die ist verbunden mit der IG-Metall-Liste 8, mit Liste 2, Ver.di-Gewerkschaft und DGB - also Liste 12. Wenn der Pool die Fünfprozenthürde meistert, zerfällt er wieder.

Berechnet wird dafür der Wert des Votums nach d'Hondt. Auf demselben Stimmzettel treten Barmer GEK-Versichertenvereinigung, Liste 6, und Barmer GEK-Gemeinschaft Liste 7 gegeneinander an, die mit jeweils anderen Listen verpartnert sind. Angezeigt werden die Bündnisse durch ein bis vier Sternchen, die mit Leselupe gut zu erkennen sind.

Für den DRV-Verwaltungsrat sind bundesweit 30 Millionen stimmberechtigt. Zugleich wird bei gesetzlichen Krankenkassen sozialgewählt - von den Versicherten, die meist über die Hälfte des Gremiums abstimmen. Die andere besetzt die Arbeitgeberseite, obwohl sie nach Beitragsanteil derzeit nur auf 47,7 Prozent Anspruch erheben dürfte. Bei Barmer und DAK darf sie gar nicht mitmischen.

Bei den Arbeitgebern findet die Wahl immer ohne Wahlhandlung statt, nämlich: die Zahl der Kandidaten ist gleich der Zahl zu vergebender Mandate. Manchmal kommen solche "Friedenswahlen" auch auf ArbeitnehmerInnenseite vor. Es ist eine Farce.

Die Verwaltungsräte haben erhebliche Befugnisse. Sie besetzen die Vorstände der Versicherungsträger und klären, was ins Leistungsspektrum aufzunehmen ist. "Das ist kein Abnick-Gremium", sagt Ulrike Hauffe, die als Bremer Gleichstellungsbeauftragte beim Termin für einen höheren Frauenanteil wirbt, worauf Abstimmende kaum Einfluss haben. Zugleich sitzt sie im Barmer-Verwaltungsrat und kandidiert erneut. In den Ausschüssen gebe es "oft heftige Kontroversen", sagt sie.

Überraschend, wenn man die programmatischen Äußerungen vergleicht: Die Listen engagieren sich für so unterschiedliche Dinge wie "eine solidarische Gesellschaft", die "Stärkung unserer solidarischen Krankenversicherung", oder auch den "Erhalt der solidarischen Sozialversicherung", andere treten dafür ein, dass "Gesundheit nicht von der sozialen Situation abhängig sein" darf. Das waren Forderungen von vier um die Plätze im Verwaltungsrat der HKK konkurrierenden Listen. Insgesamt gibt's da fünf.

"Wer sein Wahlrecht nutzt, entscheidet mit", hatte Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) vergangene Woche gesagt. Sie hat recht. Und wem piepegal ist, wie, für wen, und was die eigene Stimme mitentscheidet, der sollte schnell sein Kreuzchen machen und den roten Briefumschlag in einen Postkasten werfen. Doch wer eine Wahl ohne Rückkoppelung zu konkreten Inhalten für eine bloß vorgetäuschte Beteiligung hält, wird sich davor hüten. Der muss die Sozialwahl 2011 boykottieren - um echte Mitbestimmung zu fordern.

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