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Archiv-Artikel

Eine Fassade von Gleichmut

Päckchen von den Nazi-Eltern: verspätete Erinnerungen der Kriegskinder Ilka von Zeppelin und Richard von Schirach

VON KATHARINA RUTSCHKY

Die Kinder des „Dritten Reiches“ und seines Krieges sind inzwischen auch schon in ein Alter vorgerückt, in dem man Erinnerungen schreibt. Zwei davon sind Richard von Schirach (Jahrgang 1942) und Ilka von Zeppelin (Jahrgang 1936). Beide sind das, was man Täterkinder nennt. Schirach ist der jüngste Sohn des Reichsjugendführers, späteren Reichsstatthalters in Wien, Baldur von Schirach, und seiner Frau Henriette, der Tochter des Hitler-Fotografen Heinrich Hoffmann. Trauzeugen des Ehepaares waren Ernst Röhm und der „Führer“ höchstpersönlich. Zeppelins Eltern gehörten zwar nicht zur Hautevolee des „Dritten Reiches“. Aber der Vater war Berufssoldat, überzeugter Nationalsozialist bis über das Ende hinaus und diente dem „Reichsbauernführer“ Darrée als Adjutant. Noch 1948 war er zur Überprüfung seiner Schuld in Nürnberg interniert.

Solche Eltern gaben Kindern ein Päckchen zu tragen, zusätzlich zu den Lasten und Leiden, die die Kinder des „Dritten Reiches“ im Krieg und den ersten Nachkriegsjahren ohnehin aufgehalst bekamen. Erst heute, wo diese Generation nach einem unauffälligen Familien- und Berufsleben das Rentenalter erreicht hat, stellt sich etwa eine Initiative „Weltkriegskindheiten2“ die Frage, wie sie die traumatischen Erfahrungen bewältigt und welches seelische Erbe sie ihren Kindern weitergegeben hat. Dem Forschungsverbund gehören Historiker, Pädagogen und Psychoanalytiker an.

Merkwürdig, dass so spät Fragen gestellt werden, von denen man meinen sollte, sie hätten sich längst jedem aufgedrängt. Massenhaft machten „arische“ deutsche Kinder (für die anderen war es ja Plan) in Folge des Krieges extreme Erfahrungen mit Angst, Hunger, Flucht, Tod. Über Jahre und Jahrzehnte , erklärt der Psychoanalytiker Hartmut Radebold die Verspätung, hätten alle sich an das Klischee vom Kind geklammert, das unter allen Umständen eben sein Kinderleben lebt und, wenn es sich so ergibt, eben in der Trümmerlandschaft sein Paradies findet. Die Kriegskinder haben sich den Erwartungen der Erwachsenen gefügt und ihre Verletzungen hinter einer Fassade von stoischem Gleichmut verborgen, die bei vielen Patienten erst heute zusammenbricht, wo sie das Rentenalter erreicht haben. Als ob sie erst jetzt das Elend einer Kindheit einholt, die sie als Erinnerungsoptimisten sich selbst und anderen so gern wie ein großes Abenteuer erzählt haben.

Was Ilka von Zeppelin bewogen hat, ihre Kindheit zwischen 1940 und 1948 so nüchtern und kommentarlos zu rekonstruieren, wie sie es getan hat, verrät sie uns nicht. Die studierte Psychologin arbeitete später in Zürich, heiratete, hat Kinder und Enkel. Wie sie das alles geschafft hat, fragt sich der Leser allerdings schon, wenn er das schmale Buch zuklappt. Es enthält an Katastrophen noch mehr als das Programm, das Kriegskinder im Durchschnitt zu absolvieren hatten: Nächte im Berliner „Kinderbunker“ bei Bombenalarm zum Beispiel, allein im Alter von fünf Jahren. Am Ende dieser horriblen Kriegskindheit stand kein Happyend: Das Mädchen wurde in eine Pflegefamilie nach Irland verpflanzt. Zu Leuten, die sie nicht kannte und deren Sprache sie nicht sprach. Die Ankunft in Shannon beschließt die Erzählung mit der Aussicht auf weitere Katastrophen: Niemand ist da, die Zwölfjährige in Empfang zu nehmen.

Mit ihrer faktischen Erzählweise vermeidet die Autorin die Sentimentalität vieler Kindheitserinnerungen ebenso wie den Erinnerungsoptimismus der Kriegskinder, die sich die Katastrophen zu Abenteuern umdeuteten. Andererseits stehen die Affektlosigkeit ebenso wie der Verzicht auf Kommentierung in krassem Widerspruch zu den Realitäten. Vom gefangenen Vater konnte sich Zeppelin zwar vor ihrer Evakuierung in die irische Pflegefamilie noch verabschieden. Aber, fragt sich der Leser, wie hat sich die Beziehung zu dem Nazivater für die Jugendliche später und mit ihrer Einsicht in das „Dritte Reich“ entwickelt, dem er doch mit Überzeugung gedient hat? Hat sie ihm zum Beispiel den Tod der Hitlerjungen vorgeworfen, die sie aus der Schule kannte ? Oder – ihr eigenes Leiden? Nichts davon – Abblende mit zwölf.

Gar nicht so elegant und formal geschlossen sind die Kindheitserinnerungen von Richard von Schirach, der nach langen Studien eine Unternehmensberatung für China gegründet und sein Buch „Ariadne und Benedict“ gewidmet hat. Vielleicht seinen Kindern?

Das Buch springt in der Zeit und strapaziert den Leser mit wenigstens drei ineinander gedrehten Erzählsträngen. Zum einen erfährt der Leser von einem herumgeschubsten, lästigen Kriegskind, das allzu früh ein selbstständiges Leben führen muss. Zum anderen lernt er den Spross einer konservativen, kultivierten Familie kennen, der sich bemüht, uns ihren furchtbaren Abstieg in den Nazismus zu erklären. Dass Richard von Schirach hier viel bekanntes historisches Allgemeinwissen durchnimmt, wirkt wie der hoffnungslose Versuch eines Menschen, der Familie gegenüber loyal zu bleiben, der dabei aber sein Entsetzen über sie nicht unterdrücken kann. Zum Dritten begegnet der Leser in Schirachs Erinnerungen einem Kind, das einen Vater liebt, den es über zwanzig Jahre nur aus 1.080 Briefen und einem jährlichen Besuch von 60 Minuten im Spandauer Kriegsverbrecher-Gefängnis kennt und hoffnungslos idealisiert. Die Papierliebe scheitert in kürzester Frist nach der Entlassung des Vaters 1966. Der Vater war nicht nur ein Nazi; er war, was sich ein Sohn schwer eingestehen kann, medioker in jeder Beziehung.

Die Bücher der alt gewordenen Kriegskinder beweisen sechzig Jahre nach dem Ende des „Dritten Reiches“, wie schwer sie von seinen Katastrophen traumatisiert wurden. Es waren materielle und moralische Katastrophen. Kaum vorzustellen, dass die deutschen Kriegskinder im Rahmen des seelischen Generationenvertrags nichts von alldem weiter vererbt haben sollen. „German Angst“ nennen die Angelsachsen unsere Mentalität, die zu übertriebener Vorsicht, zu Misstrauen in alles Neue, ja grundsätzlich zum Pessimismus neigt …

Ilka von Zeppelin: „Dieses Gefühl, daß etwas nicht stimmte. Eine Kindheit zwischen 1940 und 1948“. Wagenbach Verlag, Berlin 2005, 160 Seiten, 17,50 EuroRichard von Schirach: „Der Schatten meines Vaters“. Carl Hanser Verlag, München 2005, 380 Seiten, 24,90 Euro