Bewegung spricht von "Placebo": Gorleben-Frage wieder offen?

Nach dem Bericht der Ethik-Kommission und nach Äußerungen von CSU-Chef Horst Seehofer scheint Bewegung in die Endlagerdebatte gekommen. Die SPD erwägt ein Ja zum Regierungskonzept.

Zwischenlager in Gorleben. Wird der ganze Atommüll, der dort lagert, wieder weggefahren? Die Bewegung glaubt das nicht. Bild: dapd

BERLIN dapd/dpa | Auch nach dem Beschluss der schwarz-gelben Koalition, bis 2022 aus der Nutzung der Atomkraft auszusteigen, ist die Frage nach einem Endlager für Atommüll weiter offen.

Wer im Beschluss der Regierung eine Abkehr vom Standort Gorleben sehe, der "täuscht sich gewaltig", erklärte Jochen Stay von der Anti-Atom-Organisation "ausgestrahlt" am Dienstag. Das Bundesamt für Strahlenschutz sprach sich erneut für eine bundesweite Suche nach einem Endlager aus.

"Wir haben es hier mit klassischer Placebo-Politik zu tun", sagte Stay. Durch die Vergabe von Studien und mit zweideutigen Äußerungen werde der Eindruck erweckt, es gebe eine neue Offenheit bei der Suche. "Wir fordern das Ende für das Gorlebener Endlager-Projekt, weil der Salzstock direkten Kontakt zum Grundwasser hat und damit völlig ungeeignet zur Lagerung von Atommüll ist", sagte der Atomkraftgegner.

1977: Die niedersächsische Landesregierung unter Ernst Albrecht (CDU) beschließt, in Gorleben ein nukleares Entsorgungszentrum zu gründen. Ein transparentes Auswahlverfahren fehlt.

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1980: Tiefbohrungen zur Erkundung des Salzstocks auf seine Eignung als Atommüllendlager beginnen.

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1982: Die Bauarbeiten für das oberirdische Zwischenlager Gorleben starten, es liegt nur einige hundert Meter entfernt vom Salzstock.

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1983: Die Erkundung des Salzstocks unter Tage beginnt.

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1995: Von massiven Protesten begleitet trifft im Zwischenlager der erste Castor-Behälter mit Atommüll ein. Das Bundesverwaltungsgericht genehmigt die Fortsetzung der Probebohrungen im Salzstock.

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1999: Nach dem Regierungswechsel richtet Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) den Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AK End) ein. Die Fachleute sollen ein wissenschaftlich fundiertes und vor allem transparentes Auswahlverfahren entwickeln.

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2000: Im Atomkonsens vereinbart die rot-grüne Bundesregierung mit den Stromversorgern den Ausstieg aus der Kernenergie. Die Erkundung in Gorleben wird bis längstens 2010 ausgesetzt, da Rot-Grün andere Optionen wie eine bundesweite Suche ausloten will.

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2004: Beim Protest gegen den Castor-Transport kommt in Lothringen ein 21-jähriger Franzose ums Leben. Er hatte sich an die Gleise gekettet und wird vom Zug überrollt.

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2005: Trittin legt einen Entwurf für ein Standortauswahlgesetz vor: In einem bundesweiten Verfahren sollen neben Gorleben auch andere Standorte untersucht werden. Neuwahlen lassen den Plan scheitern.

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2005 bis 2009: Nach der Wahl vereinbart die große Koalition, das Problem "zügig und ergebnisorientiert" zu lösen. Während die Union an Gorleben festhält, fordert Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) ein neues Auswahlverfahren. Es gibt keinen Fortschritt.

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2010: Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) teilt die Aufhebung des Erkundungsstopps mit. (dpa)

Die Forderung der Energie-Ethik-Kommission, Atommüll rückholbar zu lagern, spricht aus Expertensicht nicht gegen den Salzstock Gorleben als Endlager. Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, sagte der Frankfurter Rundschau, rückholbar zu lagern, entspreche auch den Erkenntnissen seiner Behörde. "Spätestens die Bilder aus der Asse zeigen, dass ein Ignorieren fachlicher Probleme diese nicht löst, sondern nur verschärft."

Die schwarz-gelbe Koalition hat in der Nacht zum Montag beschlossen, im Jahr 2022 die letzten drei deutschen Kernkraftwerke vom Netz zu nehmen. Sie sprach sich für eine "ergebnisoffene Weitererkundung von Gorleben" aus. Außerdem wurde "ein Verfahren zur Ermittlung allgemeiner geologischer Eignungskriterien und möglicher alternativer Entsorgungsoptionen" beschlossen.

Länder wollen mitentscheiden

Für SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sind die schwarz-gelben Atomausstiegspläne das "energiepolitische Waterloo" von Union und FDP. Die Koalition müsse jetzt, zehn Jahre später als von Rot-Grün vorgesehen, doch dem Atomausstieg zustimmen, sagte Steinmeier dem Hörfunksender NDR Info. Deshalb sei er mit dem Beschluss vom Vortag auch "überhaupt nicht zufrieden".

Wenn Union und FDP jetzt allerdings einen Gesetzentwurf vorlegten, der den Ausstieg aus der Kernkraft für 2021 oder 2022 klar und unumkehrbar festschreibe, dann könne die SPD diesem Teil möglicherweise zustimmen, sagte der Fraktionsvorsitzende. "Ob das auch für die anderen Teile stimmt, die noch vorgelegt werden, das müssen wir sehen."

SPD will Beteiligung des Bundesrats

Die SPD-regierten Länder haben Zweifel an der Glaubwürdigkeit des schwarz-gelben Atomplans und pochen auf ihre Beteiligung in der Länderkammer. "Wir wollen eine unumkehrbare Ausstiegsvereinbarung auf einer klaren gesetzlichen Grundlage", sagte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) dem Handelsblatt. Und selbstverständlich müsse es einen bindenden Plan für den zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien geben. "Außerdem erwarte ich, dass die Bundesregierung dieses Mal die Länder ordentlich beteiligt", sagte Beck.

Für Freitag hat Kanzlerin Angela Merkel die Bundesländer zu einem Energiegipfel geladen, um für die Unterstützung der Beschlüsse von Union und FDP zu werben. In den SPD-geführten Länder stößt vor allem das Vorhaben der FDP, einen der stillgelegten Altmeiler bis 2013 als "Kaltreserve" für eventuelle Engpässe bereit zu Halten und so Stromausfälle zu verhindern, auf Kritik.

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