Seltsame Symptome nach Ehec-Erkrankung: "Wie nach einem Schlaganfall"

Muskelzittern, Sprachstörungen, Lähmungen: Der Arzt Joachim Röther über die Zunahme neurologischer Krankheitsbilder bei Patienten, die Ehec eigentlich überstanden haben.

Es trifft junge, gesundheitsbewusste, sportliche Erwachsene. Bild: dpa

taz: Herr Röther, die Zahl der Ehec-Neuinfektionen nimmt ab. Entspannt das die Situation auf der Intensivstation?

Joachim Röther: Nicht wirklich. Richtig ist, dass die Zahl der neuen Patienten eher abnimmt. Dafür haben wir eine Zunahme der schwer neurologisch betroffenen Patienten. Es werden zunehmend Patienten auf die Intensivstation verlegt, die bereits auf Nicht-Intensivstationen wegen Ehec lagen, jetzt aber verzögert neurologische Symptome zeigen. Das macht uns Sorge. Solche Symptome waren bei bisherigen Ehec-Infektionen eher sehr selten und traten, wenn überhaupt, bei Kindern auf. Jetzt aber trifft es junge, gesundheitsbewusste, sportliche Erwachsene.

Was für Symptome sind das?

JOACHIM RÖTHER, 50, ist Professor für Neurologie und Chef der Neurologischen Abteilung an der Asklepios Klinik in Hamburg-Altona, wo zahlreiche Ehec-Patienten behandelt werden.

Sie reichen von Muskelzittern, Krämpfen, Doppelbildern, epileptischen Anfällen bis zu Symptomen wie bei Schlaganfällen, also Sprach- oder Gefühlsstörungen auf einer Körperseite. Bei manchen stellen wir auch eine Verwirrtheit mit Unruhezuständen fest. Diese Patienten bekommen dann oft im Verlauf epileptische Anfälle, sind schläfrig oder fallen in ein tiefes Koma.

Was hat ein Darmkeim im Hirn zu suchen?

Gar nichts. Der Keim selbst, also E-Coli, geht auch nicht ins Gehirn. Was uns Sorge macht, sind die von den Ehec-Bakterien gebildeten Gifte. Sie heißen Shigatoxine und rufen die neurologischen Symptome hervor. Die Schädigungsmuster, die wir sehen, sprechen daneben auch für immunologische Veränderungen. Man kann sich also durchaus vorstellen, dass der Kontakt mit dem Ehec-Erreger immunologische Prozesse auslöst, die das Gehirn schädigen.

Was können Sie tun?

Man hofft, dass die Blutwäsche das Shigatoxin herauswäscht. Außerdem kommt der Antikörper Eculizumab zur Anwendung, der bei Kindern kürzlich zu einer dramatischen Besserung führte. Es gibt aber auch Patienten, bei denen auch diese Therapien eine Verschlechterung des Krankheitsbilds nicht aufhalten können. Das verunsichert uns.

Sind die Schädigungen dauerhaft?

Glücklicherweise sind die Lähmungen und Sprachstörungen in vielen Fällen vorübergehend. Auf den kernspintomographischen Bildern sehen wir, dass das Gewebe - anders als beim Schlaganfall - nicht zu Grunde gegangen ist. Wir hoffen deswegen, dass man sich von den Schädigungen wieder komplett erholen kann. Einige Patienten mit neurologischen Symptomen sind schon wieder zu Hause.

Sobald sie entlassen sind, sind sie nicht mehr ansteckend?

Das ist eine gute Frage. Natürlich werden diese Patienten nachuntersucht und müssen in ihrem privaten Umfeld strenge Hygieneregeln einhalten. Sie sollten, wenn möglich, eine eigene Toilette haben. Man muss aber jetzt keine übertriebene Angst haben, sich bei einem Partner anzustecken. Ehec ist eine Schmierinfektion, das heißt, man kann sich nicht über Husten oder Niesen anstecken, sondern dann, wenn man sich die Hände nach dem Toilettengang nicht ordentlich reinigt.

Rechnen Sie mit einer bakteriell bedingten Zunahme neurologischer Krankheiten?

Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass sich das jetzt pausenlos wiederholt. Wir überblicken nun 2000 Ehec-Fälle. Das ist dramatisch. Aber wenn es sich um ein fortgesetztes Problem handeln würde, wenn also weiter Ehec-verseuchte Nahrung vertrieben würde, dann hätten wir eine andere Dramatik der Epidemie.

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