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Archiv-Artikel

UNLIEBSAME VORWEGNAHME EINER DEUTSCHLAND-KAMPAGNE

So kann es kommen. Da hat man sich einen flotten Werbespruch ausgedacht, und dann war jemand ganz anderes schon längst auf die gleiche Idee gekommen. Das obige Foto, auf dem die derzeit sehr präsente „Du bist Deutschland“-Kampagne variiert vorweggenommen wurde, stammt aus dem Jahr 1934 oder 1935. Es zeigt die Aufnahme einer Nazikundgebung in Ludwigshafen und hat, wie man hört, beim „Du bist Deutschland“-Kampagnenbüro Bestürzung hervorgerufen. Verständlicherweise. Dem Vorwurf, einen Nazispruch zu plagiieren, setzt man sich nicht gern aus.Muss man eine direkte Traditionslinie zwischen dem damaligen Kundgebungsmotto und der heutigen Imagekampagne herstellen? Nein, das wäre zu einfach und zu ahistorisch gedacht. Während der damalige Spruch, der Naziideologie gemäß, eine Identität von Bevölkerung, Führer und Vaterland behauptete, will die Werbekampagne die deutschen BürgerInnen dazu einladen, sich mehr mit ihrem Heimatland zu identifizieren. Das mag man dämlich, kontraproduktiv, aufgeblasen oder auch einfach nur überflüssig finden, in einen direkten Zusammenhang mit Nazidenken zu bringen ist es nicht. Dennoch täten die Kampagnenmacher gut daran, sich nicht darauf herauszureden, dass der gleiche Spruch in unterschiedlichen Kontexten verschiedene Bedeutungen annimmt. Denn wer hierzulande eine Identität von einzelnen Menschen („Du“) mit einem gesellschaftlichen Kollektivkörper („Deutschland“) behauptet und dabei offensichtlich nicht auf dem Schirm hat, dass das in der deutschen Vergangenheit schon einmal sehr viel handfester geschehen ist, der ist bestenfalls naiv zu nennen.Das jetzt aufgetauchte Foto sollte die Kampagnenmacher nicht erschrecken, sondern nachdenklich stimmen. Es verweist eben doch auf ein Grundproblem der Kampagne: dass in ihr Individuen, wie pfiffig auch immer, in einer Gemeinschaft aufgehoben werden. Nicht nur der Nazikontext macht das fragwürdig. Es hat immer etwas Entdifferenzierendes oder Kitschiges, wenn behauptet wird, dass das Besondere prima im Allgemeinen aufgehen kann. Sagen wir es mit Richard Rorty: „Mehr individuelle Vielheit – größere, vollkommenere, phantasievollere und wagemutigere Individuum“, so beschreibt der amerikanische Philosoph in seinem Essay „Stolz auf unser Land“ das notwendiges Ziel, auf das man zusteuern soll. Das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was die aktuelle Kampagne im Sinn hat. Man braucht „Du bist Deutschland“ nicht als Nazispruch zu inkriminieren, um zu behaupten, dass das in die falsche Richtung steuert. DIRK KNIPPHALS

FOTO: STADTARCHIV LUDWIGSHAFEN