Bildsprachen: Jedes Bild braucht das nächste

Die Ausstellung "Zwischen Film und Kunst - Storyboards von Hitchcock bis Spielberg" in der Kunsthalle Emden will das Storyboard als Kunstform und Inspirationsquelle adeln.

Dean Tavoularis’ Storyboard zu Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“. Bild: Kunsthalle Emden

EMDEN taz | Viel Ehrerbietung ist das Storyboard im Alltag nicht gewohnt. Das Storyboard besteht aus einer Ansammlung von Handzeichnungen, die der Regisseur als Vorlage für die Filminszenierung nutzt. Normalerweise hängt es an der Wand eines Filmstudios und wird abgeheftet, wenn es nicht mehr gebraucht wird. Während es an der Wand hängt, wird es verändert, mal kommen Zeichnungen hinzu, mal fallen welche weg. Oft sind die Striche hastig gesetzt, Stichworte ordnen die Zeichnungen einer Handlung zu, Pfeile zeigen die Bewegungen der Protagonisten an. Farbe gibt es selten.

Das Storyboard ist die erste Visualisierung des Drehbuchs und damit zunächst eine technische Zeichnung, die dem Filmteam die Planung erleichtert. Zugleich erschafft das Storyboard eine ganze Welt: Die Zeichnungen legen eine Atmosphäre fest und treffen grundsätzliche Entscheidungen über die Bildsprache des Films. Nicht selten kommen Storyboardzeichner von der Kunstakademie und haben Höheres im Sinn. Es könnte sein, dass das Storyboard in seiner künstlerischen Bedeutung unterschätzt wird.

Das jedenfalls vermutet die Kunsthalle Emden. Dort hängen noch bis 17. Juli, gerahmt und namentlich gekennzeichnet, Storyboards von 17 Filmklassikern wie Walt Disneys "Schneewittchen", Alfred Hitchcocks "Spellbound" (Ich kämpfe um dich), Francis Ford Coppolas "Apocalypse Now" oder Martin Scorseses "Taxi Driver". Die Ausstellung heißt "Zwischen Film und Kunst - Storyboards von Hitchcock bis Spielberg". Konzipiert wurde sie von der Kunsthalle Emden und der Deutschen Kinemathek in Berlin, wo sie ab 11. August zu sehen sein wird.

Jeder der 17 Filme bildet ein Kapitel der Ausstellung, jedes dieser Kapitel ist gleich aufgebaut: Auf einem Monitor läuft eine kurze Sequenz des jeweiligen Films. Daneben hängt das Storyboard zur Sequenz. Und wiederum daneben hängen bis zu drei Kunstwerke. Die Anordnung Film - Storyboard - Kunstwerk kehrt immer wieder. Der Titel "Zwischen Film und Kunst" ist in Bezug auf die Präsentation wörtlich zu nehmen.

Die gezeigten Kunstwerke haben mit den Filmen nur mittelbar zu tun, sie seien - so die These der Ausstellungsmacher - vom jeweiligen Film inspiriert oder haben den Film inspiriert. In den meisten Fällen läuft dies auf die Motivfindung hinaus: Das Storyboard zu Fritz Langs "Menschenjagd" aus dem Jahr 1941 zeigt die Sequenz einer nächtlichen Flucht mit dem Ruderboot. Daneben hängt das Acrylbild "Rowers" von Wim Claessen von 2009 mit zwei Menschen in einem Ruderboot auf einem mysteriösen grauen See.

Ein anderes Beispiel ist der Künstler Thomas Hartmann, der in seinem Ölgemälde "Überflug" (2008-2010) einen Schwarm Vögel zeigt, der eine Großstadt überfliegt. Pate dafür stand, klar, Hitchcocks Film "Die Vögel" aus dem Jahr 1963. Hitchcocks Storyboards sind allerdings weniger wegen ihrer Vogelmotive interessant. Interessant ist die akribische Arbeitsweise, über die sie Aufschluss geben: Hitchcock beschriftete seine Storyboards mit Schreibmaschine, wohingegen beispielsweise Martin Scorsese eine schwer zu entziffernde Handschrift genügte.

Die Ausstellung zeigt auch, dass nicht nur der Film die Kunst, sondern auch die Kunst den Film inspiriert hat. Francis Ford Coppolas "Apocalypse Now" aus dem Jahr 1979 stellt sie Ludwig Meidners Zeichnung "Der Krieg" aus dem Jahr 1914 gegenüber. Und bei Hitchcocks "Spellbound" hat Salvador Dalí höchstselbst mitgearbeitet. Hitchcock wollte eine gestochen scharfe Traumsequenz im Stil der surrealistischen Malerei, um die damalige Konvention zu durchbrechen, Träume durch unscharfe Bilder darzustellen. Dalí lieferte ihm Augen, die durch die Luft fliegen, ein aufgeklapptes Gesicht und weite Landschaften.

Die Verweise vom Film auf die Kunst und umgekehrt überzeugen mal mehr und mal weniger. Vor allem aber überraschen sie nicht, schließlich ist die Erkenntnis von der wechselseitigen Inspiration zwischen Film und Kunst nichts Neues. Neu könnte sein, dass diese Inspiration auf der Ebene der Storyboards noch augenscheinlicher wird als auf der Ebene der fertigen Filme. Aber das ist nicht der Fall - mit Ausnahme von "Spellbound" und mit Ausnahme einer Arbeit des Künstlers Marcel van Eeden. Sie besteht aus vier Einzelbildern, die das narrative Prinzip eines Storyboards übernehmen und trotzdem ein Kunstwerk bleiben wollen.

Tatsächlich ist das Storyboard eher der Bruder des Comics als der der Kunst. Beim Storyboard braucht jedes Bild das nächste, damit die Geschichte vorankommt. Die Zeichnungen sind nur Teil eines Ganzen, oft überfrachtet, korrigiert und kommentiert. Wichtig ist die Geschichte in ihrer auserzählten Form. Das macht die Storyboards fürs Museum weniger interessant. Aber das Scheitern dieser Ausstellung nachzuvollziehen ist allemal interessant.

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