Pauschale für Bedürftige: Kultur als Flatrate-Angebot

Ein findiger Bremerhavener Finanzbeamter hat sich ein neuartiges Sozialticket ausgedacht: eine Monatspauschale für die städtischen Kultur- und Sportangebote.

Auch der "Zoo am Meer" ist im Bremerhavener Flatrate-Angebot enhalten. Bild: dpa

BREMEN taz | Jeden Tag zweieinhalb Stunden schwimmen, anschließend Museen abklappern und abends noch ins Theater: Was klingt wie eine Vision aus dem Freizeitpark Deutschland, ist in einer der ärmsten Großstädte Westdeutschlands Wirklichkeit: Wer in Bremerhaven genügend Zeit und Interesse hat - und nachweislich arm genug ist -, kann sich für eine Monats-Pauschale von 22,50 Euro das gesamte städtische Kultur- und Sportangebot zu Gemüte führen. Und obendrein zum halben Preis im Second Hand-Kaufhaus "Fundus" shoppen.

Etwa 25.000 BremerhavenerInnen sind bezugsberechigt, das ist die Summe aller Hartz-IV-Bezieher, Asylbewerber und sonstigen EmpfängerInnen von Transferleistungen. Angeboten wird die Karte seit Mitte Mai, Paare zahlen 27,50, Familien 32,50 Euro. Inhaber einer aufgeladenen Chipkarte können sich dann ins Kulturleben stürzen, eislaufen oder den Zoo besuchen.

"In dieser Art" sei ihr Flatrate-Modell einmalig, glauben die Bremerhavener. Der Deutsche Städtetag kann dem nicht widersprechen. 132 von 172 Kommunen, die kürzlich an einer Umfrage teilnahmen, hatten ein Sozialticket im Angebot - aber keine einzige eine Flatrate.

Die Bremerhaven-Karte ist ein homegrwon Model. Genauer gesagt ist sie dem Kopf eines einzelnen Magistrats-Mitarbeiters entsprungen: Roland Heimann. "Wir können uns hier keine großen Arbeitsstäbe leisten", sagt Heimann - ein Seitenhieb auf Bremen, wo ebenfalls längere Zeit an einem Kulturticket gewerkelt wurde. Für das dort zunächst angebotene Restkarten-Modell, bei dem der Bedürftige geduldig an der Abendkasse ausharren musste, interessierte sich kaum jemand; nun gibt es feste, vorab buchbare Ticket-Kontingente, die "gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen", wie Bremens Kulturressort mit berechtigter Emphase erklärt.

Nun ist Heimann kein "Kultur für alle"-Guru, sondern Finanzbeamter. Die Flatrate-Idee sei ihm beim Besuch eines Lehrgangs für den höheren Dienst gekommen, erzählt er: Dort habe sich jeder Teilnehmer ein Verwaltungsprojekt vornehmen müssen. Das Beispiel der Billig-Fliegerei habe ihn auf den Gedanken gebracht, die Auslastung der Einrichtungen mit Hilfe einer Flatrate zu verbessern. Als Experte für Beteiligungscontrolling stand ihm zunächst also eher die magere Besucherbilanz etwa des städtischen Historischen Museums vor Augen - mittlerweile aber sind es offenbar auch die kulturell zu beglückenden Menschen: "Die Bremerhaven-Karte", sagt Heimann, "ist für mich zu einer Herzenssache geworden."

Als Finanzbeamter sei ihm gleichwohl wichtig, dass das "plus/minus null ausgeht". Das gesamte System habe gerade mal 15.000 Euro an Sachmitteln gekostet, weitere 5.000 stehen für etwaige Verluste der beteiligten Einrichtungen bereit. Wie andererseits Gewinne gegebenenfalls aufgeteilt werden, soll nach einer sechsmonatigen Erprobungsphase verabredet werden. In den ersten 14 Tagen erwarben allerdings nur 16 Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften - in der Regel also Familien - eine Flatrate, aktuelle Zahlen liegen nicht vor.

Mit der Werbung für die Bremerhaven-Karte scheint es noch zu hapern. "Das wüssten wir aber, wenn es so etwas gäbe", sagt etwa der Kollege von der gewerkschaftlichen Erwerbslosenberatung - um sich bestätigt zu fühlen: "Die Stadt hält alles geheim, was dem kleinen Mann hilft." Ob die Bremerhaven-Karte überhaupt hilft, ist ebenfalls umstritten. Was Hartz IV-Empfänger vordringlich bräuchten, sei eine billige Busfahrkarte, sagt der Gewerkschaftsmann.

Bei der Bremerhavener Arbeitsloseninitiative (Bali) wiederum hält man die Karte schlicht für zu teuer: "Ich kenne keinen, der das beantragt hat", sagt ein Bali-Sprecher. Und bei der Linkspartei findet das Flatrate-System ohnehin keine Freunde: "Bedürftige mit Sammelrabatten für Kultur- und Freizeitaktivitäten abzuspeisen", erklärt man, sei ignorant - mit der Lebensrealität einkommensschwacher Familien habe die Bremerhaven-Karte so viel zu tun wie ein Zehn-Prozent-Rabatt auf Nobelrestaurants.

Apropos Luxus: Premieren können mit der Bremerhaven-Karte nicht besucht werden, auch bei den Repertoire-Aufführungen ist man auf die Plätze der Preiskategorie III beschränkt. Wer aber erst einmal drin ist im Theater, kann sich spätestens nach der Pause ein freies Plätzchen weiter vorn suchen.

Die Einbeziehung des Öffentlichen Nahverkehrs in die Bremerhaven-Karte kann sich die Kommune nach Heimanns Ansicht nicht leisten. Immerhin soll die Kultur-Flatrate nun jedoch mit 100 Plakaten und Werbe-Slogans auf den Bus-Monitoren beworden werden.

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