Jugend forscht

Sieht gut aus, ist bunt, besticht aber höchstens durch Belanglosigkeit: „Kult“, das Debüt des ukrainischen Schriftstellers Ljubko Deresch

von KATHARINA GRANZIN

Bis vor ein paar Jahren wusste hierzulande kaum jemand, ob es „Ukra-ine“ oder „Ukreine“ heißt und wo dieses Ding genau liegt. Doch dann gab es zuerst Ruslana, schließlich Juschtschenko und die Revolution – und bevor diese Revolution sich selbst frisst, verlegen deutsche Verlage noch schnell die Literatur ihrer Kinder. Ein Buch eines Sechzehnjährigen hat es bisher wohl eher selten in die „edition suhrkamp“ geschafft. Wahrscheinlich ist der inzwischen einundzwanzig Jahre alte Ljubko Deresch überhaupt der Erste, dem diese rekordverdächtige Leistung gelang. Aber Ukrainisch und ukrainische Literatur ist halt (noch) Kult.

Tatsächlich hat dieses Buch etwas ganz Besonderes: Es ist schön. Das Bändchen prunkt mit einem dünnen bunten Schutzumschlag, der auf – natürlich – orangefarbenem Hintergrund das in Pop-Art-Manier (ja, Andy Warhols Geburtsort liegt unweit der ukrainischen Grenze) vervielfältigte Konterfei des attraktiven Jungschriftstellers zeigt. Darüber schnörkelige Jugendstil-Buchstaben. Ein stilistisches Kuddelmuddel, das diesem ehrenwerten Suhrkamp-Taschenbuch den unwiderstehlichen Touch einer billigen, kreativen Samisdat-Publikation verleiht, die man sich, weil sie cool ist, gern ins Regal stellt. Wenn man sich dabei nicht von dem einen Auge des Autors beobachtet fühlt, das sicher nicht zufällig gerade auf dem Buchrücken platziert ist. Der Gestalter hat seinen Deresch gelesen.

Denn eine Atmosphäre von Verfolgungswahn durchzieht „Kult“, dessen Titel ein ehrgeiziges Programm ankündigt. Es geht um Kulte und Riten in den mannigfaltigsten Erscheinungsformen, um Jugendkultur, um das Okkulte – und um die Drogen, deren Konsum für die Ausübung vieler Kulte einfach unverzichtbar ist.

Eine Art Handlung gibt es auch: Der Biologiestudent Jurko Banzai wird zum Praktikum in ein abgelegenes Städtchen geschickt, um auf dem örtlichen Gymnasium zu unterrichten. Natürlich verliebt er sich in eine Schülerin, und dass sie Daria Borges heißt, ist nur einer von zahllosen Bezügen zu anderen Autoren, mit denen der Autor großzügig um sich wirft. Daria ist ein Mensch von besonderen Fähigkeiten, leidet aber darunter, von Gleichaltrigen ausgeschlossen, ja gemieden zu werden, und sucht vor ihren Ängsten bei Banzai Schutz.

Möglicherweise ist dieses Mädchen, wenn man alles andere abzieht, der Kern des Romans, das Porträt einer kraftvollen, doch ihrer selbst nicht sicheren Jugend, die das Bestehende ablehnt, aber über den eigenen Weg noch nicht sicher ist. Doch diese Lesart wäre bereits eine Überinterpretation. Denn das Buch, das Deresch tatsächlich geschrieben hat, wuchert zu wild über jeglichen festen Boden hinweg. Jugendrituale werden in pseudowissenschaftlichem Duktus beschrieben: Wie Angehörige verfeindeter Stämme treten die Jugendgruppen des Städtchens gegeneinander an. Banzai, Daria und Freunde zerstören während eines Happenings Erzeugnisse primitiver russischer Popkultur, die auch in der Ukraine verbreitet sind. (Die hässlichen Mädchen sprechen in diesem Buch Russisch).

Banzai übt sich in der Technik des „luziden Träumens“, die ihm zunehmend schauerliche Visionen beschert. Und ob es nun daran liegt oder an den Drogen, denn eigentlich wird nur gekifft; aber die daraus resultierenden Visionen sind beachtlich: Die bisherige Realität weicht immer mehr einer Gegenwelt, in der schließlich der Pförtner des Internats satanische Gestalt annimmt und Banzai und Daria verfolgt. Auch andere nimmt er aufs Korn, was dazu führt, dass bald ein Großteil der Bewohner des Städtchens in ihrem Blute liegt.

Wenn der Roman endlich zu diesem Horror-Splatter-Finale gelangt, beginnt man erst richtig Spaß zu haben an der Lektüre. Vorher gibt es davon eher wenig, denn zu sehr ermüdet einen der kraft- und schlaumeierische, irgendwie wohl „postmodern“ gemeinte Gestus dieser Prosa, in der ein sehr junger, sicherlich begabter Autor all seine Lesefrüchte zu einem bunten Wörterhaufen gemischt hat, der zwar üppig aussieht, aber doch reichlich belanglos ist.

Ljubko Deresch: „Kult“. Aus dem Ukrainischen von Juri Durkot und Sabine Stöhr. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 260 Seiten, 10 Euro