Daniel Richter-Schau in Hannover : Die originäre Kraft des Bildnerischen

Daniel Richters große Schau in der Kestnergesellschaft Hannover ist eine über weite Strecken gelungene Neubearbeitung von Märchen und Mythen unserer Zeit.

Daniel Richter posiert in Hannover vor seinen Werken "Hero No1" und "WOW". Bild: dpa

HANNOVER taz | Der Maler Daniel Richter spannt in seinen Arbeiten stets einen weiten inhaltlichen und formalen Bogen und bezieht sich gleichermaßen auf kunstgeschichtliche, literarische, historische oder mediale Referenzen. Das Wissen um die historischen Vorläufer, die vielschichtigen kulturellen Prägungen und die Gleichberechtigung anderer Kunstformen hebt ihn heraus aus einer Vielzahl von Kunstschaffenden, die als Motiv ihrer Produktion ausschließlich einen diffusen Begriff der Intuition anführen.

Nicht dass Daniel Richter die originäre Kraft seiner Imagination und bildnerischen Produktion verleugnen würde, aber er verweist immer wieder darauf, dass Begriffe wie Genius und Einzigartigkeit relativ sind und in Relation zur Gesellschaft, ihrer Kultur und der sozialen und ästhetischen Konditionierung verstanden werden müssen.

Er selbst formuliert es so: "Das Künstlersubjekt hat stets gewusst, dass es nicht autonom existiert. Kunst entsteht doch unter Einbeziehung allen historischen und künstlerischen Wissens."

Der Weg des 1962 in Eutin geborenen Malers Richter, der von 1991 bis 1995 in Hamburg bei Werner Büttner Malerei studierte, ist geprägt von einer vielfältigen Durchdringung des Mediums. Beginnt er in 1990er Jahren mit abstrakten Arbeiten, erweitert er sein Repertoire seit 2000 um die Dimension der figürlichen Darstellung.

Diese differenziert sich in einem politisch-historischen und einem symbolisch-allegorischen Ansatz. Aber Richters Arbeiten lassen sich nur bedingt mit statischen Kategorien beschreiben, denn die Vermengung und Sprengung der formalen und interpretatorischen Lesbarkeit zeichnet sein Werk aus.

Der unterstellten Wende in seinem Werk von der Abstraktion hin zur Figur widerspricht er denn auch, wenn er darauf hinweist, dass diese allzu einfache Trennung keineswegs die Tiefe der Wirklichkeit und einer auf sie bezogenen Malerei spiegelt: "Die Dichotomie Abstraktion und Figur ist eigentlich fiktiv. Jede Malerei ist ein Abstraktionsprozess, und sie kann diesen Prozess mehr oder weniger in den Vordergrund stellen."

Realitätsferne bei den Staatsmalern

Auch figürliche Malerei ist immer Darstellung, Verdichtung und Interpretation. Die unversöhnlichen Debatten, die man beispielsweise in der DDR führte, um den sogenannten Formalismus gegenüber dem sozialistischen Realismus zu denunzieren, entlarvten sich als reine Ideologie: so utopisch und restriktiv die Politik war, so realitätsfern war der vermeintliche Realismus der Staatsmaler.

Und deshalb weigert auch Richter sich, seine Kunst in der Politik aufgehen zu sehen. "Politik ist Politik und Kunst ist Kunst", sagt er nüchtern.

Es gibt aber noch andere gute Gründe, das abstrakte Vorgehen nicht einfach vom Figürlichen zu trennen. Betrachtet man seine Bilder, wird schnell klar: alle Ebenen vermischen sich und bedingen einander. Das sieht man auch deutlich in den neuen Arbeiten, die Daniel Richter in der Kestnergesellschaft in Hannover unter dem Titel "10001nacht" ausstellt.

Der literarische Bezug ist eindeutig: die populäre Geschichtensammlung "1001 Nacht", die heute zum Kanon der Weltliteratur gehört. Doch Richter erweitert die orientalische Sagen- und Märchenwelt gleich um 9.000 fiktive weitere Nächte und Geschichten und macht so deutlich, dass im 21.Jahrhundert der Kanon überlieferter Mythen neu und radikal interpretiert werden muss.

Der historische Fundus

Schon frühere Kataloge sind Titel bekannter Bücher entlehnt. "Billard um halb zehn" (2001) entspricht dem Titel von Heinrich Bölls großem Nachkriegsroman, den Richter damals für seinen Katalog in der Originaltypografie und Grafik von 1959 verwendete.

Er zeigte damit, dass die Ästhetik seiner Bilder sich aus einem historischen Fundus bedient und gleichermaßen das Echo von Krieg, Nachkrieg, Faschismus, Angst und Verdrängung in sich aufnimmt. Gleiches gilt für den Überblickskatalog "Die Palette" (2007), der sich auf Hubert Fichtes gleichnamigen Hamburg-Roman von 1968 bezieht.

Die formale Vielfalt dieses Werkes ist stilbildend gewesen, die Handlung spielt im Milieu der Trinker, Huren, Zuhälter und Ausgestoßenen in der Kellergeschosskneipe "Palette". Sujet und Sprache führten im Erscheinungsjahr zu einem juristischen Skandal. Die sprachliche und intellektuelle Verve Fichtes ist bis heute Legion.

Daniel Richter nahm dies als Referenz, zeigte aber auch, dass es nach 1968 andere ästhetische und gesellschaftspolitische Prämissen gab, die auch seine Arbeit betreffen.

Vermutlich aus Indien

Aber wie ist es mit den Märchen aus 1001 Nacht? Was hat das mit Richter zu tun? Welche Bilder, Klischees, Echos und Prägungen lassen sich daraus destillieren? Schon die Rezeptionsgeschichte des Buches macht es einem nicht einfach: Vermutlich indischen Ursprungs, wurde eine Sammlung von 1.000 Geschichten etwa im 10. Jahrhundert ins Persische, später ins Arabische übertragen.

In französischer Übersetzung kam das Buch im 18. Jahrhundert nach Europa. Seit Anfang des 19. Jahrhundert liegt auch eine deutsche Übersetzung vor. Die Übertragungen gehen mit immer neuen Überschreibungen und Erweiterungen einher und verändern den Originaltext zunehmend. In Deutschland wurde es eher als Kinderbuch rezipiert, sexuelle Eindeutigkeiten oder gewalttätige Szenen in früheren Ausgaben wegretouchiert.

Auf Richters aktuellen Bildern in Hannover sieht man zunächst einmal Berglandschaften: karge, durch Liniengeäste entstandene unwirtliche Gelände und Gebirgsformationen, die an die Weiten Afghanistans, an den Hindukusch denken lassen.

Die Figuren auf Bildern scheinen den Eindruck zu bestätigen: Männer mit Turbanen und in langen Gewändern, einzeln oder in Gruppen, häufig bewaffnet mit Gewehren. "Wenn Sie dabei an Taliban denken, dann beweist das doch nur, wie sehr diese Bilder besetzt sind", verkündet Richter lauthals in der Ausstellung. Und begibt sich damit auf argumentativ dünnes Eis.

Taliban und Krieg

Zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York und dem ebenso lange andauernden Krieg gegen den Terror, der vornehmlich im Irak und in Afghanistan geführt wird, ist es wenig verwunderlich, dass die Bilder Assoziationen zu Talibankämpfern, zur Darstellung des Krieges in den Medien und zu sich verselbstständigenden Klischees wecken.

Zumal der Maler eindeutig Bezüge offenlegt: Bilder von Magazinen, die den Krieg auf ihren Titelblättern thematisieren und dafür natürlich einfach zu dramatisierende und manipulierende Bilder verwenden. Der sonst so komplexe Diskurs von Daniel Richter benennt nur das, was alle ohnehin schon wissen: den medialen Bildern ist nicht zu trauen, kein Bild, das nicht auch politisch besetzt wäre.

Wenn Richter dann noch die Stereotype der westlichen Werbung ausgerechnet mit dem Marlboro-Cowboy und Country aufzeigt, scheint das doch etwas zu einfach gedacht. Diese Bildwelten sind schon oft durchgearbeitet, in der Kunst und in der Medientheorie.

Die kleinen Formate

In den Werken von 2010/2011, die Richter in Hannover zeigt, variiert er das Thema etwas gar häufig. Weniger wäre da mehr gewesen. Die in den unteren Räumen der Kestnergesellschaft gezeigten Arbeiten auf Papier von 2007-2009 hingegen sind in ihrer formalen Umsetzung adäquat und belegen Richters Könnerschaft auch im Umgang mit dem kleinen Format.

Es sind Bildwelten, die in nur wenigen Drehungen zu Comics und Grotesken werden können, allein durch das malerische Ersetzen von Gewehren durch Gitarren. Schwerter zu Pflugscharen, vielleicht geht es dabei um diesen ironischen Verweis oder die Kämpfer sind doch bloß Statisten in einem inszenierten Kampf.

Maske und Nachtsichtgerät

Gelungen auch die grellen großformatigen Arbeiten wie "WOW" (2011). Das Bild zeigt eine Figur, eingehüllt in martialische Kleidung und bewaffnet, die wie ein schwarzer Schatten wirkt. Die Figur, deren Gesicht hinter einer Maske oder einem Nachtsichtgerät verschwindet, wirkt versprengt und verloren. Man kann bei diesem Bild schwerlich die Grenze zwischen einem echten Soldaten und einer Figur aus einem Gotcha-Turnier ziehen.

Genauso gut könnte sie aber auch einem digitalen Kriegsspiel entsprungen sein. Hier zeigt sich, dass Richter auf vielen unterschiedlichen Ebenen reflektieren kann und erstaunliche Bilder daraus werden. Was Inszenierung und Dokument ist, was künstlich oder echt, erinnert oder projiziert wurde, bleibt unbeantwortet.

Damit spiegelt er auch gekonnt die ständige Frage nach der Wahrheitsfindung: Welche Bilder sind echt? Wurde Osama bin Laden tatsächlich so und nicht anders aufgespürt und exekutiert? Sind die Ansichten von nächtlichen Bombenangriffen tatsächlich korrekt benannt?

Neue Interpretationen

Auch die Bilder, die den Kontrast zwischen einer weiten und abweisenden Landschaft zeigen, mit nackten Menschen darin, die auf dem schmalen Grat von Zivilisation und Auflösung wandeln, überzeugen. Sie sind existenziell und ironisch zugleich ("The Escapist", 2010). Insgesamt wirken sie flacher, skizzenhafter, leerer als viele frühere Arbeiten. Und das ist sehr gut und zeigt, dass Richter sich als Maler weiterbewegt und die Matrix seiner Bilder immer neu interpretiert.

Die Bilder zeigen aber auch einige Verfahrensweisen, die man von Richter kennt: Farbverläufe und Ausmalungen, Rinnsale und Verwischungen und eine labyrinthische Anmutung. Die Ausstellung wäre aber vermutlich besser, hätte Daniel Richter wie schon in anderen Präsentationen das Ganze etwas diskursiver angelegt, indem er auch die Kontextbilder aus den Zeitungen und Magazinen mit ausstellt, die Formate radikaler mischt und weniger große Bilder gezeigt hätte.

Dass Unbekanntes oft mit Projektionen belegt wird, dass Exotismus und Rassismus, Klischee und Unkenntnis Hand in Hand gehen, belegt Richter in seiner Argumentation sehr schlüssig. Leider folgen nicht alle der "Bergbilder" seiner komplexen Logik, alles andere aber überzeugt.

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