Mutter ein zweites Mal vor Gericht: Neuer Prozess um Lara Mia

Mit neun Monaten war das Kind unterernährt gestorben. Nun steht ihre Mutter erneut vor Gericht. Der Bundesgerichtshof hatte ihre Bewährungsstrafe zurückgewiesen.

Steht erneut vor Gericht: die Mutter Jessica R., hier bei Prozessbeginn mit ihrem Anwalt. Bild: dpa

Sie war schon verurteilt, dennoch sitzt Jessica R. seit Dienstag wieder auf der Anklagebank: Der Prozess gegen die Mutter von Lara Mia, die im März 2009 im Alter von neun Monaten völlig abgemagert gestorben war, wird neu aufgerollt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte das erste Urteil, bei dem Jessica R. und ihr damaliger Lebensgefährte Daniel C. zu Bewährungsstrafen von zwei Jahren beziehungsweise neun Monaten verurteilt worden waren, wieder aufgehoben. Es wirft den Hamburger Richtern ein zu niedriges Strafmaß vor. "Allzu leichtfertig" hätten sie geglaubt, die Eltern hätten den drohenden Tod des Mädchens nicht erkannt.

Nun sitzt Jessica R. also wieder neben ihrem Verteidiger im Saal 378 des Hamburger Landgerichts, sie ist vor Kurzem 21 geworden, eine blondierte lange Haarsträhne hat sie sich zum Schutz vor den Blicken ins Gesicht gelegt, dieses Mal wird die Öffentlichkeit vom Prozess nicht ausgeschlossen. "Ich möchte keine Angaben machen", sagt sie leise und schaut auf die Tischplatte. "Todesmutter" hat eine Zeitung sie betitelt, ihre Schwestern lancierten eine Homepage zum Fall Lara Mia, in dem sie auf einem Beerdigungs-Foto über die Eltern einen roten Schriftzug setzten: "Mörder".

"Meine Mandantin ist in schlechter Verfassung", sagte ihr Anwalt Reinhard Ehrich vor Prozessbeginn. Alle Gefühle zum Tod ihrer Tochter würden wieder aufgewühlt, zudem fühle sich Jessica R. von Presse und ihrer Familie verfolgt. Ihr Ex-Freund Daniel C. ist laut Angaben seines Anwalts "nicht vernehmungsfähig", das Verfahren gegen ihn ist abgetrennt worden.

Am 16. Mai 2008 wird Lara Mia R. geboren, sie ist gesund.

Ab Oktober 2008 sollen Jessica R. und Daniel C., der nicht der leibliche Vater des Kindes ist, laut Anklage das Kind nicht mehr ausreichend ernährt haben.

Im November wird die nötige U4-Untersuchung für Babys und Kleinkinder bereits von der Mutter versäumt.

Februar 2009: Lara Mia erbricht sich, ist völlig abgemagert, spätestens ab diesem Zeitpunkt bescheinigt die Anklage den Eltern, dass sie Lara Mias Zustand als lebensbedrohlich einschätzen.

3. März 2009: Familienhelferin Marianne K. besucht Lara Mia und bescheinigt ihr einen guten Gesundheitszustand.

11. März 2009: Lara Mia stirbt in ihrem Kinderbett in Wilhelmsburg.

So steht der Prozess wieder auf Null, jedes kleinste Detail muss geklärt, alle Zeugen neu befragt werden. Warum hat Lara Mia in den Tagen vor ihrem Tod Bauchweh-Tee bekommen, wie war ihr Stuhlgang, was fand die Kripo später im Hausmüll?

Aber entscheidend bleiben zwei Fragen: Seit wann war Jessica R. der lebensbedrohliche Zustand ihrer Tochter bewusst? Und warum ist sie mit ihr nicht zum Arzt gegangen? Bei der Vernehmung hatte sie ausgesagt, sie habe sehr wohl bemerkt, wie dünn Lara Mia war. Aus Angst, das Jugendamt könne ihr das Kind wegnehmen, habe sie aber den Arztbesuch immer weiter aufgeschoben.

Die Sozialpädagogin des Rauhen Hauses, die die Familie regelmäßig aufsuchte, hatte Lara Mia noch eine Woche vor dem Tod einen guten Gesundheitszustand bescheinigt - und ist im Anschluss zu einer Geldstrafe von 2.700 Euro verurteilt worden. Auch nach dem Urteil ist unklar geblieben, welche Rolle die Behörden im Todesfall des Mädchens gespielt haben.

Trotz klarer Anzeichen von Unterernährung - Lara Mia wog 4,8 Kilogramm, etwa die Hälfte des ihrem Alter entsprechenden Gewichts - konnte ihre Todesursache nicht eindeutig geklärt und ein plötzlicher Kindstod nicht ausgeschlossen werden. Den Eltern hatte das Gericht zugute gehalten, dass sie den Notarzt gerufen und Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet hatten. Diese Einschätzung dürfte dieses Mal - auf Druck des BGH - anders ausfallen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.