Friedenspreis des Deutschen Buchhandels: Gegen Turbane und Schirmmützen

Boualem Sansal hat den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Der algerische Schriftsteller fordert eine Entmystifizierung der arabischen Staatengründungen.

Kämpft mit Worten gegen die islamistischen Horden und das Militär: Der Schriftsteller Boualem Sansal, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Bild: dpa

FRANKFURT/MAIN taz | Mochten zum Anfang der Buchmesse die Toren und Trolle des europäischen Nordens bestimmend gewesen sein, so blickte man gegen Ende doch einmal in Richtung Süden und Arabischen Frühling. Auf der Messe selber gab es zu den Umwälzungen an Europas Südgrenze erstaunlich wenig zu notieren. Einige, zumeist schmalere Sammelbändchen können kaum darüber hinwegtäuschen, dass den Deutschen und ihren Intellektuellen die Geschichte ähnlich fern zu sein scheint wie dem glücklosen Außenminister.

Der präsentierte sich zum Auftakt der Messe als entschiedener Pro-Europäer. Etwas, das ihm anlässlich des diesjährigen Gastlands Island leichter fiel als eine weitere Beschäftigung mit den Arabern und ihrem Frühling, den er so gründlich verpatzte und verpasste.

Gegen eine über weite Strecken apolitische und lethargische Haltung setzte die Messe nun ihrerseits zum Abschluss ein deutliches Zeichen. Die Vergabe des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2011 an den algerischen Schriftsteller Boualem Sansal am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche vor tausend geladenen Gästen rückte in den Blickpunkt, wie dramatisch die Lage in vielen arabischen Staaten heute ist.

Sansal machte dies gleich zu Beginn seiner Rede in der Paulskirche deutlich. So haben ihn die Nachricht von der beabsichtigten Auszeichnung in Deutschland erfreut, aber zugleich auch verunsichert. Das Mehr an Prominenz kann schützen, aber auch gefährden.

Sansals Bücher unter dem Ladentisch gehandelt

Sansal ist elf Jahre nach Assia Djebar die zweite Persönlichkeit aus Algerien, die für ihr demokratisches Engagement mit dem renommierten Preis ausgezeichnet wurde. Von Haus aus Ingenieur, war Sansal in den 1990er Jahren als Generaldirektor im algerischen Industrieministerium tätig und sollte sich mit der Privatisierung der korrupten und ineffizienten Staatskonzerne beschäftigen.

Es war die Zeit, als in Algerien ein brutaler Bürgerkrieg tobte, auf der einen Seite die Islamisten, auf der anderen die seit der Dekolonialisierung herrschende, mafiöse Staats- und Militärclique. 1999 erschien Sansals erster Roman "Der Schwur der Barbaren". Er kostete ihn seinen Job. Sansals Bücher werden in Algerien mittlerweile unter dem Ladentisch gehandelt. Sein letzter Roman "Das Dorf des Deutschen" (auf Deutsch bei Merlin) erzählt davon, wie sich die Ideen des antikolonialen Befreiungskampfes auch mit antiimperialistischen und rechten Vorstellungen mischten.

In Frankfurt erinnerte Sansal an das schwere Erbe des Postkolonialismus. Von 1954 bis 1962 tobte in Algerien "der lange, furchtbare Befreiungskrieg gegen den Kolonialismus", sagte Sansal, "der - wie wir im Lauf der Massaker erfahren mussten - wie bei einer Matrjoschka-Puppe noch andere Kriege enthielt". Die Führer der Befreiungsbewegung teilten nach der Vertreibung der Franzosen das Land unter sich auf und machten sich über Oppositionelle und Minderheiten her. Die Algerier kämpften gegen die Kolonialtruppen, aber immer auch gegen sich selbst, sagte Sansal in Frankfurt, "es kämpften FLN gegen MNA, Araber gegen Berber, Religiöse gegen Laizisten", und bereiteten so "künftigem Hass und künftigen Spaltungen den Boden".

Südliche Mittelmeerländer ernster nehmen

In den 1990er Jahren, als die große Reformbewegung in Algerien gescheitert war, überzogen die "Turbane" (die islamistischen Horden) und die "Schirmmützen" (Sansals Stichwort für den Militär- und Polizeikomplex) das Land mit Terror und Krieg. Sansal meint, die Emire von gestern plündern heute gemeinsam mit den Schirmmützen die Erdöleinnahmen des Landes.

Der Börsenverein Frankfurt hat der taz nicht erlaubt, auch nur Auszüge aus der Rede des Preisträgers Sansal zu veröffentlichen. Der Grund: Ende Oktober soll ein Buch mit der gesamten Rede erscheinen.

Sansal appellierte in Frankfurt an Europa, die südlichen Mittelmeerländer ernster zu nehmen, sie nicht nur als Grenzwächter und Rohstofflieferanten zu betrachten. Wer die Geschichte der Region kennt, der fällt auch weniger leicht auf die immer noch verbreiteten religiösen oder antiimperialistischen Mythen herein, hinter denen sich die heutigen Kultur- und Volkskämpfe meist verbergen. So unterschlagen viele arabische Intellektuelle, aber auch viele europäische Orientexperten häufig den aktiven Anteil, den die arabischen Bewegungen in der Vergangenheit bei der Herausbildung der orientalischen Despotien hatten. Viele lenken davon mit antiwestlicher und antiisraelischer Propaganda ab.

Sansal hingegen gehört zu der Minderheit, die an der Entmystifizierung jener Prozesse arbeitet, die bei den arabischen Staatengründungen prägend waren und die Phase des Postkolonialismus einleiteten. Er betrachtet dies als Voraussetzung, um der unheiligen Allianz von Turbanen und Schirmmützen, die den Arabischen Frühling überall bedrohen, wirksam entgegentreten zu können. Für sie sei "die Vielfalt des menschlichen Spektrums" längst "zu einem Fall von Identitätsbeleidigung geworden".

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