Ausstellung über Max Liebermann: Sisyphus-Arbeit in endloser Landschaft

Hamburg zeigt eine Max-Liebermann-Schau, die nicht fragt, warum der Großindustriellensohn erst renitent Arbeiter und dann nur noch seine eigene Klasse malte. Packend ist sie trotzdem - allein schon wegen des monumentalen Netzflickerinnen-Bilds.

Balsam für hanseatische Lokalpatrioten: Max Liebermanns "Terrasse bei Jacob in Nienstedten". Bild: Katalog

HAMBURG taz | Dieser Liebermann - das war schon ein eigenwilliger Mensch. Er gilt als braver Realist, vielleicht auch Naturalist. Ein bisschen Ludwig Thoma, ein bisschen Paula Modersohn, ein Hauch Gustave Courbet: das ist, dem Augenschein nach, Liebermann. Seilmacher, Flachsspinnerinnen und Netzflickerinnen hat er beim Urlaub in Holland skizziert und später auf so riesige Leinwände gebannt, dass es die Mitwelt empörte.

Aber warum tat er das? Der Großindustriellensohn hätte es nicht nötig gehabt, sich als "Rinnsteinkünstler" und "Apostel der Hässlichkeit" beschimpfen zu lassen. Als Millionär malte er das Elend und fand Menschen bildwürdig, die die Kunst in Deutschland bis dato ignoriert hatte - bloß französische Realisten wie Gustave Courbet hatten sie schon für sich entdeckt.

Die Gründe für seine Motivwahl sind nicht ganz klar, und die erhellt auch die aktuelle Liebermann-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle nicht. Deren Macher zeigen Liebermanns Werk, teils chronologisch, teils thematisch sortiert, auf jägergrünen Wänden, die den "Heimat- und Gartenmaler"-Charakter der Schau betonen.

Liebermann - das ist ein Maler, der endlich mal wieder Publikum ins Museum zieht. Das erwies schon die erste Station der Schau in Bonn, und das funktioniert auch in Hamburg: Getümmel herrscht von früh bis spät.

Dass die Ausstellung ausgerechnet in der Galerie der Gegenwart statthat, ist allerdings ein Mysterium, das noch aufzuklären wäre. Vielleicht tat man es, weil man Liebermann - so der Untertitel - als "Wegbereiter der Moderne" vorstellen wollte. Und bis zur Gegenwart sei es dann wohl auch nicht weit …

Doch das ist ein Trugschluss: Das Publikum will nicht Moderne sehen, und es kommt auch nicht die Avantgarde. Das gediegene Bildungsbürgertum ist vielmehr hier, um Ungefährliches, Vertrautes zu sehen. Um sich an der Rührigkeit niedlicher Bauernkinder und stillender Mütter zu ergötzen.

Dass die Porträtierten der Unterschicht entstammen, die in Hamburg bis heute besonders streng getrennt ist vom Rest der Welt, macht die Bilder nur noch nostalgischer, fast möchte man sagen: folkloristischer.

Eine Haltung, die man übrigens auch Liebermann nicht ganz absprechen kann, denn als sozialkritischer Maler gilt er nicht. Seine Motivwahl hatte eher programmatische Gründe, wollte er doch dem allseits gepriesenen Historienbild, das riesig und moralisierend daherkam, etwas entgegensetzen.

Abgesehen davon boten die ArbeiterInnen, die er in Holland vorfand, ein neues Motiv- und Gestenrepertoire: Niemand hatte bis dato Gänserupferinnen oder Arbeiter im Rübenfeld gemalt. Für Liebermann eine exzellente Chance, dieselbe Figur in stetig wechselnder Pose zu malen und zu einem Gruppenbild zusammenzustellen - etwa bei den "Netzflickerinnen". Dass die Netze dekorativ zwischen den Dünen ausgebreitet wurden und er so en passant Landschaft malen konnte, kam ihm zupass.

Doch wie steht es um die realen Mühen der Arbeit, wie genau hat Liebermann hingeschaut, wenn es um Schwielen, gebeugte Rücken und Schmerzen ging? Man sucht und findet - wenig Genaues. Zwar entsprachen die Arbeiter- und Bauerngesichter nicht dem bürgerlichen Schönheitsideal. Aber individuell oder verhärmt sind sie selten; Liebermann ging es um einen Typus. Um eine frühindustrielle Gesellschaft, die er in Holland idealtypisch verwirklicht wähnte.

Auch die Bewohnerinnen des Amsterdamer Waisenhauses zu malen ist zwar im Prinzip sozial. Aber Liebermann tat es eben auch, weil die Mädchen so dekorative Uniformen trugen, die adrett zu malen wären.

Die arbeitende Frau als Dekoration, die Netzflickerin als Ikone, als Madonna gar: Hat Liebermann seine Motive auch benutzt, um sich zu inszenieren? Man kann es heute so lesen. Damals allerdings genügte das gezeigte Milieu, um Liebermann als "Sozialisten" und "Dreckmaler" zu diffamieren.

Und dann passierte etwas Merkwürdiges: Er knickte vor der Kritik ein und zerschnitt eine frühe Komposition, von der nur ein Fragment blieb: "Mutter und Kind". Hatte er seine Ideale verraten? Würde er es wieder tun? Ja, er tat es - in einem weit schwerwiegenderen Fall: Den "Jesus im Tempel" nämlich, den der Jude Liebermann ursprünglich als Juden gemalt hatte, ließ er später zum christlich-blonden Knäblein mutieren, weil die öffentliche Meinung es so wollte. Dabei hatte dieses Bild von Toleranz zwischen den Religionen zeugen sollen.

Warum sich Liebermann beugte, ist nicht überliefert. Jedenfalls tat er das bald darauf im großen Stil: Aus war es ab 1900 mit Arbeiterinnen, jetzt malte er seine eigene Gesellschaftsschicht - das Bürgertum. Gern auch das Hamburger, in Biergärten, Parks, an der Elbe und in der Kirchenallee.

Er tat es darin den französischen Impressionisten nach, ging aber nie in die Abstraktion. Nie verselbständigt sich bei Liebermann das Flirren des Lichts, nie verfließen Konturen. Der Künstler blieb immer Dokumentar, und wenn Kurator Robert Fleck sagt, Liebermann habe das Bürgertum als neue gesellschaftliche Größe darstellen wollen, ist das eine wohlwollende Deutung.

Begründet hat Liebermann seinen Motivwechsel nie, und auch die Hamburger Ausstellung hinterfragt sie nicht. Diese unkommentierte Aneinanderreihung der Liebermannschen Schaffensphasen degradiert die Arbeiter und ihre bürgerlichen Counterparts zu Statisten. Die beiden Pole gesellschaftspolitisch und stilistisch zu kontrastieren, hat die Ausstellung versäumt.

Stattdessen sind deren Macher der hanseatischen Mentalität mit einem Raum entgegengekommen, der großteils Hamburger Biergärten und Elbansichten zeigt und in dem Lokalpatriotismus fröhlich blühen kann. Ein Hort hanseatischer Selbstvergewisserung, der dazu einlädt, die von Liebermann realistisch gemeinten Szenen zum nostalgischen Idyll zu verklären.

Um diese Bilder, wie die Ausstellungsmacher es fordern, als modern zu empfinden, sind sie allerdings zu gegenständlich - und hier zeigt sich ein weiterer interessanter Bruch in Liebermanns Persönlichkeit: Als Kunstförderer war er nämlich weit avantgardistischer denn als Maler, ja sogar renitent: Seit sich Bismarck in deren Ausstellungspolitik eingemischt hatte, boykottierte Liebermann die offiziellen Ausstellungen der staatlichen Akademie und zählte 1889 zu den Mitbegründern der Berliner Secession als unabhängiger Künstlervereinigung.

Auch als er 1920, als das Kaiserreich vorbei war, Präsident der Akademie der Künste wurde, förderte er vehement die Avantgarde und nahm Pechstein, Beckmann, Nolde und Munch als Mitglieder auf.

Sie alle malten radikaler als er. Die Nazis hinderte das allerdings nicht, Liebermanns Werke zu diffamieren. Auch die Hamburger Kunsthalle schloss 1935 den Liebermann-Saal und tauschte mehrere Liebermann-Bilder gegen nichtjüdische Gemälde.

Dies referiert die Hamburger Ausstellung erfreulich ausführlich in einem eigenen Raum. Die Brüche aber in Liebermanns Werk: die Gründe für Übermalungen und Motivwechsel - die beleuchtet die Ausstellung nicht.

Sie spricht nicht von seiner Enttäuschung über den subtilen Antisemitismus, der ihn nie mehr religiöse Bilder malen ließ, sie erwähnt nur am Rande seine Idee religiöser Toleranz. Auch die Begründung für Liebermanns Modernität bleibt die Ausstellung schuldig. Sie ist affirmativ und brav, und so wird sie wohl auch rezipiert werden.

Dass sie trotzdem berührt, liegt daran, dass sie dieses riesige Bild der Netzflickerinnen zeigt. Dessen Monumentalität bewegt auch den, der nicht weiß, dass dieses Format eigentlich staatstragenden Historienschinken galt, während Liebermann trotzig arme Arbeiterinnen darauf malte. Das Bild ist die Momentaufnahme einer Sisyphus-Arbeit in endloser Landschaft, vom Fischerleben an der Küste spricht es beängstigend dicht.

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