: Bescheidenheit ist nicht die Rettung
VISIONEN Böll-Vorstand Ralf Fücks stellt sein neues Buch zur grünen Revolution vor, das Steinmeier und Göring-Eckardt gleichermaßen gern lesen
Die Sache mit den Ameisen ist Frank-Walter Steinmeier besonders im Gedächtnis geblieben. Viel mehr Biomasse als Menschen erzeugten Ameisen, zitiert der SPD-Fraktionschef im Bundestag das neue Buch vom Vorstand der Böll-Stiftung, Ralf Fücks. „Ins Verhältnis gesetzt, verbraucht eine Ameise so viele Kalorien wie 30 Milliarden Menschen!“ Und trotzdem: den tropischen Regenwald würde es ohne Ameisen so nicht geben.
Die Ameise als Leitbild für die grüne Revolution des Menschen: Der einstige Grünen-Bundeschef Fücks hat mit „Intelligent wachsen“ 350 Seiten wider Öko-Autoritarismus, apokalyptische Prophezeiungen und Forderungen nach einem Ende des Wachstums vorgelegt und dazu am Mittwoch Steinmeier und die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt in die Bundespressekonferenz geladen.
Die Botschaft: Die Grenzen des Wachstums haben sich als beweglich erwiesen, radikale Wachstumskritik ist destruktiv, die Zukunft gehört nicht der Deindustrialisierung, sondern der Innovationskraft des nächsten industriellen Wandels: dem New Green Deal in Energie, Landwirtschaft und Stadtpolitik. „Bescheidenheit rettet die Welt nicht“, sagt Fücks.
Kein „blasses Verzichtskonzept, keine Mitte-links-Miesepetrigkeit“ sei das, lobt Steinmeier: „Mir gefällt das.“ Wachstum müsse sein, auch wenn das alte Modell davon nicht mehr tragfähig sei. Technologischer Wandel, Investitionen in Bildung und neue Infrastruktur, „das ist die Zukunftszuversicht, die uns hoffentlich eint“, sagte Steinbrück und blickt zur Seite, zu Göring-Eckardt.
Das „hoffentlich“ hätte er sich sparen können, denn natürlich sind sich die beiden einig in ihrem Loblied auf den Autor und dessen grüne Fortschrittsbibel: Steinmeier, den Fücks als einen eingeladen habe, der in einer durch Arbeiter- und Industriegeschichte geprägten Partei heute ernsthaft über den ökologischen Wandel nachdenke. Und Göring-Eckardt, die wiederum froh ist, dass es „noch nicht 5 nach 12 ist“ und die – um kritische Würdigung bemüht – anmerkt, ob man denn nicht doch auch die als Verbündete brauche, die nicht zu einer anderen Art von Wachstum wollen, sondern weg davon, weg von der Doktrin der Expansion.
Nein, mit radikaler Wachstumskritik kann und will Fücks nichts anfangen, die Erosion von Klima, Trinkwasser und Bodenfruchtbarkeit lasse sich so nicht aufhalten. Ihm geht es um die globalen Realitäten der Gegenwart: Lateinamerika, Afrika, Asien, überall Wachstum.
So gibt Göring-Eckardt den wohl brauchbarsten Hinweis, auf Fücks’ Kapitel zur Zukunft der Städte: Tatsächlich könnte dessen Lektüre vielleicht einigen politischen Stadtverantwortlichen Berlins den dringend nötigen Innovationsschub verleihen, auf dem Weg zu einer Vision für die Zukunft der Stadt.
Der zwischen 1991 und 1995 in Bremen als Senator für Stadtentwicklung und Umwelt zuständige Fücks benötigt dabei nur einen Absatz, um in seltener Klarheit die nicht nur negative, wenngleich zwiespältige Zwischenbilanz von Gentrifizierungsprozessen in den Innenstadtbezirken Berlins zu beschreiben. Der schicke Bioladen um die Ecke sei eben nicht nur ein Mietentreiber, sondern oft genug ebenso notwendige Innovation zur Vitalisierung eines maroden Kiezes, so Fücks. Die Städte müssten sich nur entschlossen ihre in jüngster Vergangenheit aus fiskalischen Erwägungen abgegebene Gestaltungsmacht zurückholen, um ökologischen Umbau mit sozialer Stadtpolitik zu versöhnen.
Mit demokratischen Initiativen von unten, der Vernetzung von Grünflächen, einem Double des Erneuerbare-Energien-Gesetzes für die Altbausanierung, der Dezentralisierung der Erzeugung sowie der Effektivierung des Verbrauchs von Energie sei die Stadt der Zukunft nicht mehr fern. SEBASTIAN PUSCHNER
■ Ralf Fücks: „Intelligent wachsen“, Hanser Verlag. Buchvorstellung am 14. März in der Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstr. 8, 20 Uhr