Fackelträger sollte sie sein

ABGESANG Die „FAZ“ führt die „Frankfurter Rundschau“ als Regionalzeitung weiter. Damit ist die „FR“ am Ende. Ein Nachruf

Die „Frankfurter Allgemeine“ erneuerte sich, die Klientel der „Rundschau“ starb aus

VON HEIDE PLATEN

Ach, ein Jammer, ein Trauerspiel, ein langsames Sterben, eines, das Frankfurt, mit drei großen Zeitungen bisher verwöhnte Insel der Seligen, und die Rhein-Main-Region zur Zeitungseinöde machen wird. Die Frankfurter Rundschau (FR) wird zwar keinen offiziellen Todesstoß erhalten. Aber als kleinstgeschrumpfter Regionalzwerg am Tropf der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) ist die Zeitung dennoch am Ende. Hingezogen hat es sich lange.

Zur Geburtsstunde am 1. August 1945 war die FR ein Flaggschiff der von den Besatzungsmächten verordneten Demokratisierung. „Fackelträger“ solle sie sein, gab ihr der US-amerikanische General Roger McClure bei der Überreichung der Zulassungsurkunde mit auf den Weg. Der Auftrag des Lizenzunternehmens war es, ähnlich dem späteren des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, vorwiegend bildend, belehrend, demokratiefördernd zu wirken. Die ersten sieben Lizenznehmer waren eine Mischung aus des Nationalsozialismus unverdächtigen Kommunisten, Sozialisten, Sozialdemokraten und Katholiken. Die Kommunisten wurden auf Betreiben der Amerikaner bis 1947 allerdings schnell wieder aussortiert.

Unterm Patriarchat

Von der Gründergruppe blieb nur der aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossene Arno Rudert übrig. Der FR erwuchs Konkurrenz. Schon 1946 wurde die Frankfurter Neue Presse (FNP) als erstes konservatives Gegengewicht zugelassen, 1949 die FAZ. Die Rollen waren schnell verteilt. Die FR übernahm im Adenauerdeutschland den Part der sozialkritischen, linksliberalen Presse, die FAZ den konservativen, beide erschienen überregional. Die FNP widmete sich dem Lokalen.

Nach dem Tod Ruderts 1954 übernahm der legendäre Karl Gerold. Der Journalist, Lyriker und Sozialdemokrat hielt 75 Prozent, die Witwe von Rudert ein Viertel der Anteile. Der überzeugte Antifaschist Gerold war gleichzeitig Verleger, Herausgeber und Chefredakteur. Er blieb als „heilige Dreifaltigkeit“ patriarchalischer Alleinherrscher bis zu seinem Tod 1973. Die Mitarbeiter ertrugen seine wortwankend gereimten Gedichte ebenso wie seinen Führungsstil, der Abweichungen selten zuließ.

Die Zeitung ging als sein Vermächtnis in den Besitz der Karl-Gerold-Stiftung über. Da war sie längst eine Institution und als führendes Anzeigenblatt unverzichtbar. Freitagnachmittag drängten sich die Menschenschlangen vor dem 1953 erbauten Verlagshaus am Eschenheimer Tor, um möglichst schnell die Abendausgabe zu ergattern, die schon die Wohnungsanzeigen der Samstagszeitung enthielt. Dankbar konnten diejenigen sein, die jemanden in der Anzeigenabteilung kannten und so, eigentlich streng verboten, schon vorab an die heiß begehrten Kleinanzeigen kamen. Einem Ondit zufolge soll sich Verleger Karl Gerold einmal selbst dorthin begeben haben, weil er es ungerecht fand, dass ein stadtbekannter Studentenführer Schwierigkeiten bei der Wohnungs- und Arbeitssuche hatte.

In den Jahrzehnten seit 1968 wohnten dann oft zwei Seelen in der Brust der Blattmacher. Einerseits waren da ihre sozialdemokratischen, antifaschistischen Wurzeln, die in Treue festhielten zur SPD, die die Stadt und das Land jahrzehntelang regierte. Andererseits demonstrierten junge Leute auf den Straßen gegen den Vietnamkrieg, gegen Behördenwillkür und Wohnraumzerstörung. Das Misstrauen der Bewegungen gegen die BerichterstatterInnnen der FR saß tief, trotz deren manchmal offenkundiger Sympathie für die Proteste.

Im Zweifelsfalle, so die gängige Meinung, sei die FR doch immer wieder als Teil der „bürgerlichen Medien“ auf der Seite der Herrschenden. Das Misstrauen legte, trotz vieler Vertrauensverhältnisse und privater Freundschaften, einen wichtigen Grundstein für die bundesweit entstehenden Alternativzeitungen. Das schmerzte. Manch ein Mitarbeiter, dessen Herz links der SPD und später grün schlug, musste mit Sanktionen rechnen.

Auch die Gründung der taz stieß nicht gerade auf Gegenliebe. In den Anfängen gab es oft Spott und Häme für das als idealistisch und selbstausbeuterisch kritisierte Projekt. Bis zur Jahrtausendwende war der Kuchen zwischen FR und FAZ im Rhein-Main-Gebiet weltanschaulich sauber verteilt. Der Rest war Geschmackssache mündiger Leser: Das Abo wurde je nach Weltanschauung bestellt, der bessere Lokalteil in der FR gelesen, Wirtschaft und Feuilleton eher bei der FAZ. Der Niedergang begann schleichend.

Es musste gespart werden. Die FR, deren so gemütliche wie verstaubte Produktionsmethoden längst von der FAZ überholt waren, tat sich schwer mit der Modernisierung. Das neue Computerlayout war vorwiegend Fehlerquelle und verströmte Langeweile, die Auflagenzahlen der Printmedien sanken bundesweit, der Anschluss an die elektronischen Dienste gestaltete sich schleppend. Die bis dahin fast beamtensicher geglaubten Arbeitsplätze wackelten immer heftiger. Etliche altgediente Redaktionsmitglieder, die das Profil des Blattes geprägt hatten, gingen resigniert in den Vorruhestand. Die Namen, die das Heimatgefühl der langjährigen Leser angesprochen hatten, verschwanden. Das Profil ging verloren. Die Einnahmen sanken.

Die FAZ änderte ihr Gewand hin zu modernistisch neoliberal, die einstige Klientel der FR starb aus oder wandelte sich ebenfalls. Mancher Abonnent, der nicht zur FAZ wechseln wollte, behalf sich zum Frühstück mit der Süddeutschen Zeitung. Selbst die Präferenzen der morgendlichen Zeitungsdiebe veränderten sich. Aus den Briefkästen verschwand jetzt die FAZ.

Die CDU bürgte

Der Umzug 2005 aus der Innenstadt ans andere Mainufer in das Bürohaus Colosseo sei, unkten Mitarbeiter wegen dessen ruinenartiger Architektur damals, auch als Umzug in den „Turmbau zu Babel“ zu werten. Der Verkauf und Abriss des alten Rundschau-Hauses 2006 hatte Symbolcharakter. Dass einer der letzten Rettungsversuche 2003 ausgerechnet mit einer Landesbürgschaft der CDU-Regierung unternommen worden war, hinterließ ein erstes Geschmäckle, die 90-prozentige Übernahme durch die SPD-Medienholding DDVG das zweite. Die Belegschaft war inzwischen um mehr als die Hälfte auf 750 geschrumpft, tägliches Zittern um den Arbeitsplatz inbegriffen.

2006 gingen 50 Prozent des Blattes an den Kölner Verlag M. DuMont Schauberg. 2007 schrumpften nicht nur Auflage und Personal, sondern auch das Zeitungsformat zum hoch gelobten, kleineren Tabloid. Abonnentenzahlen und Anzeigeneinnahmen sanken dennoch weiter. Die Zerschlagung der Firmenstrukturen besserte nichts. Dass dem Insolvenzantrag im November 2012 die Kündigung des Brotauftrags für die hauseigene Druckerei durch den Axel-Springer-Verlag folgte, hat die Verkaufsverhandlungen des Konkursverwalters nicht gerade befördert. „Lassen Sie uns Geschichte weiter schreiben“, hatte die FR um Solidaritätsabos geworben. Sie wird wohl selbst Geschichte werden: Außer dem Titel FR und einer Lokalredaktion mit 28 Redakteuren wird nicht viel bleiben. Der Verlust für die bundesdeutsche Zeitungslandschaft wiegt schwer.

Schwerpunkt SEITE 3 ■ Die Autorin, Jahrgang 1946, war langjährige taz-Korrspondentin in Frankfurt am Main